Achtes Kapitel.
[Gleichheit und Überlegenheit der Partner]


(1158b) Die bezeichneten Freundschaften beruhen also auf Gleichheit. In ihnen leisten und wünschen sich beide Teile dasselbe, oder tauschen eines gegen das andere, wie z. B. Lust gegen Vorteil, ein. Dass diese Freundschaften geringeren Grades und von geringerer Dauer sind, haben wir schon gesagt. Sie scheinen wegen der Ähnlichkeit und der Unähnlichkeit in demselben Punkte zugleich Freundschaften zu sein und es nicht zu sein. In Anbetracht der Ähnlichkeit mit der auf Tugend beruhenden Freundschaft erscheinen sie als Freundschaften, da die eine Lust gewährt, die andere Nutzen, was beides auch jener eigen ist; insofern die letztere aber über Verleumdung erhaben und beständig ist, sie dagegen rasch wechseln und auch noch in manchen anderen Stücken von der wahren Freundschaft abweichen, erscheinen sie wieder wegen ihrer Unähnlichkeit mit ihr nicht als Freundschaften.

Es gibt aber noch eine andere Art von Freundschaft, bei der ein Verhältnis der Überlegenheit besteht, so die Freundschaft des Vaters mit dem Sohn und überhaupt eines Älteren mit einem Jüngeren, die des Mannes mit der Frau und die eines jeden Vorgesetzten mit dem Untergebenen. Diese Freundschaften sind auch unter sich verschieden; die Freundschaft der Eltern mit ihren Kindern ist nicht die nämliche wie die der Vorgesetzten mit ihren Untergebenen, aber auch die des Vaters mit dem Sohn ist nicht die gleiche wie die des Sohnes mit dem Vater und die des Mannes mit der Frau nicht die gleiche wie die der Frau mit dem Mann. Jede dieser Personen hat nämlich eine andere Tugend und eigentümliche Verrichtung und jede ein anderes Motiv der Liebe, und darum ist auch die Liebe und die Freundschaft jedesmal eine andere. So leisten denn hier beide Teile einander nicht das Gleiche, und man darf das auch nicht verlangen; wenn vielmehr die Kinder den Eltern erweisen was den Erzeugern gebührt, und die Eltern ihren Söhnen was denen, die sie erzeugt haben, zukommt, dann wird die Freundschaft unter solchen beständig und von rechter Art sein. In allen diesen auf einer Überlegenheit beruhenden Freundschaften muß die Liebe eine verhältnismäßige sein, muß der Bessere, Nützlichere und sonst Überlegene mehr geliebt werden als lieben. Denn dann, wenn beide Teile nach Würden geliebt werden, entsteht gewissermaßen Gleichheit, was ja als Grundzug aller Freundschaft gilt.


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