Zweites Kapitel.
[Die Freigebigkeit und der Charakter des Freigebigen]


Die tugendhaften Handlungen sind sittlich schön und werden um des sittlich Schönen willen verrichtet. So wird denn auch der Freigebige und Edelgesinnte um des sittlich Schönen oder des Guten willen und auf die rechte Weise geben; er wird also geben denen er soll und soviel und wann er soll, und überhaupt mit Beobachtung alles dessen, was zum richtigen Geben gehört; und er wird das gern und ohne Unlust tun; denn das tugendhafte Handeln ist lustbringend oder doch frei von Unlust; am allerwenigsten ruft es Unlust hervor.

Wer gibt wem er nicht soll, oder wer nicht aus einem sittlichen, sondern aus einem anderen Beweggrunde gibt, kann nicht freigebig heißen, sondern muß einen anderen Namen bekommen. Ebensowenig wer mit Unlust gibt; ihm ist das Geld lieber als die edle Tat; so ist aber der Freigebige nicht gesinnt.

Er wird auch nicht da nehmen, wo er nicht soll, da ein solches Nehmen nicht nach der Art eines Mannes ist, der Geld und Gut nicht achtet. Auch bittet er nicht leicht um etwas. Denn wer gern Wohltaten spendet, versteht sich nicht leicht dazu, solche zu empfangen. (1120b) Nehmen wird er woher er soll, das heißt aus Eigenem, nicht als ob Nehmen schön wäre, sondern weil es notwendig ist, damit er geben kann. Er wird auch sein Vermögen nicht vernachlässigen, da er ja mit demselben Anderen nützlich sein will. Auch wird er nicht dem ersten Besten geben, um geben zu können, wem er soll, und wann und wo es gut ist.

Es ist auch die Weise des Freigebigen und Edelgesinnten, im Geben die Mitte so stark zu überschreiten, dass er für sich das Geringere behält, da es ihm eigen ist, nicht auf sich selbst zu sehen.

Man schätzt die Freigebigkeit nach dem Vermögen. Denn sie beruht nicht auf der Größe der Gabe, sondern auf der Gesinnung des Gebers, und mit der steht es bei dem Freigebigen so, dass er nach dem Maße seines Vermögens gibt. Darum kann es gar wohl geschehen, dass die kleinere Gabe einer größeren Freigebigkeit entspringt, weil sie aus geringeren Mitteln verabreicht wird.

Freigebiger scheinen die zu sein, die ihr Vermögen nicht erworben, sondern ererbt haben. Sie haben keine Erfahrung von der Not, und jedermann hängt mehr an dem, was von ihm selber kommt. So haben es ja auch die Eltern mit ihren Kindern und die Dichter mit ihren Werken.

Der Freigebige ist nicht leicht reich. Er legt es ja nicht darauf an, zu empfangen und zusammenzuhalten, sondern neigt eher zur Verschwendung, da er das Geld nicht seinerselbst, sondern des Gebens wegen schätzt. Deshalb schilt man auch das Schicksal, weil die, die es am meisten verdienen, am wenigsten reich sind. Und doch geht das ganz natürlich zu. Denn man kann nicht reich werden, wenn man auf das Erwerben keine Sorge verwendet, wie das ja auch bei allen anderen Gütern der Fall ist. Darum wird der Freigebige aber doch nicht geben wem er nicht soll und wann er nicht soll, und wie die Fehler alle heißen.. Denn da handelte er nicht mehr nach der Regel der Freigebigkeit, und bei einer derartigen Verwendung seines Geldes bliebe ihm nichts mehr zur Verwendung am rechten Orte übrig. Denn, wie gesagt, freigebig ist wer nach Maß seines Vermögens und am rechten Orte austeilt.

Wer hier durch Übermaß fehlt, ist ein Verschwender. Darum nennen wir die Gewaltherrscher nicht Verschwender, da es nicht leicht erscheint, dass sie bei ihren großen Mitteln mit ihren Geschenken und Aufwendungen sich übernehmen. Der Freigebige wird nun, da die Freigebigkeit die Mitte beim Geben und Nehmen von Geld und Gut ist, am rechten Ort und im rechten Maße geben und aufwenden, und zwar gleichmäßig im kleinen und im großen, und wird es mit Freude tun. Und nehmen wird er woher er soll, und wie er soll. Denn da seine Tugend in beiden Beziehungen die Mitte ist, so wird er beides so tun, wie er soll. Dem geziemenden Geben entspricht ja ein eben solches Nehmen, während das nicht geziemende Nehmen ihm widerspricht. Die entsprechenden Eigenschaften treten also gleichzeitig in derselben Person auf, die widersprechenden aber selbstverständlich nicht. (1121a) Wenn der Freigebige einmal wider Gebühr und Schicklichkeit eine Ausgabe gemacht hat, so wird er Unlust darüber empfinden, mit Maß jedoch und auf die rechte Art. Denn es gehört zur Tugend, am rechten Ort und auf die rechte Art Lust und Unlust zu empfinden. Mit ihm ist auch in Geldsachen gut verkehren. Denn er kann sich ein Unrecht gefallen lassen, da er das Geld nicht hochschätzt, und es ihn mehr verdrießt, wenn er eine geschuldete Ausgabe unterlassen, als er Unlust empfindet, wenn er eine nicht geschuldete gemacht hat. Einem Simonides machte ein solcher Mann keine Freude.


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