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Dichtkunst

Dichtkunst. Der Dichter wagt es, "Vernunftideen von unsichtbaren Wesen ... zu versinnlichen" oder auch Empirisches "über die Schranken der Erfahrung hinaus, vermittelst seiner Einbildungskraft, die dem Vernunft-Vorspiele in Erreichung eines Größten nacheifert, in einer Vollständigkeit sinnlich zu machen, für die sich in der Natur kein Beispiel findet". In der Dichtkunst kann sich das Vermögen ästhetischer Ideen "in seinem ganzen Maße" zeigen, KU § 49 (II 168 f.). Die Dichtkunst verdankt fast gänzlich dem Genie (s. d.) ihren Ursprung und nimmt den obersten Rang unter den Künsten ein. "Sie erweitert das Gemüt dadurch, daß sie die Einbildungskraft in Freiheit setzt und innerhalb der Schranken eines gegebenen Begriffs unter der unbegrenzten Mannigfaltigkeit möglicher damit zusammenstimmender Formen diejenige darbietet, welche die Darstellung desselben mit einer Gedankenfülle verknüpft, der kein Sprachausdruck völlig adäquat ist, und sich also ästhetisch zu Ideen erhebt. Sie stärkt das Gemüt, indem sie es sein freies, selbsttätiges und von der Naturbestimmung unabhängiges Vermögen fühlen läßt, die Natur, als Erscheinung, nach Ansichten zu betrachten und zu beurteilen, die sie nicht von selbst, weder für den Sinn noch den Verstand, in der Erfahrung darbietet, und sie also zum Behuf und gleichsam zum Schema des Übersinnlichen zu gebrauchen. Sie spielt mit dem Schein, den sie nach Belieben bewirkt, ohne doch dadurch zu betrügen; denn sie erklärt ihre Beschäftigung selbst für bloßes Spiel, welches gleichwohl vom Verstande und zu dessen Geschälte zweckmäßig gebraucht werden kann." "In der Dichtkunst geht alles ehrlich und aufrichtig zu. Sie erklärt sich, ein bloßes unterhaltendes Spiel mit der Einbildungskraft, und zwar der Form nach einstimmig mit Verstandesgesetzen treiben zu wollen, und verlangt nicht, den Verstand durch sinnliche Darstellung zu überschleichen und zu verstricken", ibid. § 53 (II 183 f.). "Der Dichter kündigt bloß ein unterhaltendes Spiel mit Ideen an, und es kommt doch soviel für den Verstand heraus, als ob er bloß dessen Geschäft zu treiben die Absicht gehabt hätte." Die Dichtkunst ist die Kunst, "ein freies Spiel der Einbildungskralt als ein Geschäft des Verstandes auszuführen", ibid. § 51 (II 176 f.). Die Dichtkunst, als Abart der "Poesie", ist "ein Spiel der Sinnlichkeit, durch den Verstand geordnet". Die "Neuigkeit der Darstellung" eines Begriffs ist eine Hauptforderung der schönen Kunst an den Dichter. Die Poesie überragt alle übrigen Künste, Anthr. 1. T. § 71 B u. Anm. (IV 177 f.).