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III. [Bedeutung der personalen Einheit des Besitzers]

 

Vielleicht läßt sich das auch so ausdrücken. Das Geld, als das rein arithmetische Zusammen von Werteinheiten, kann als absolut formlos bezeichnet werden. Formlosigkeit und reiner Quantitätscharakter sind eines und dasselbe; insofern Dinge nur auf ihre Quantität angesehen werden, wird von ihrer Form abgesehen - was am deutlichsten geschieht, wenn man sie wägt. Deshalb ist das Geld als solches der fürchterlichste Formzerstörer: denn welche Formungen der Dinge a, b und c auch der Grund sein mögen, daß sie alle den Preis m kosten, so wirkt die Unterschiedenheit derselben, also die spezifische Form eines jeden, in den 30 fixierten Wert ihrer nicht mehr hinein, sie ist in dem m, das nun a, b und c gleichmäßig vertritt, untergegangen und macht innerhalb der wirtschaftlichen Schätzung gar keine Bestimmtheit dieser mehr aus. Sobald das Interesse auf den Geldwert der Dinge reduziert ist, wird ihre Form, so sehr sie diesen Wert veranlaßt haben mag, so gleichgültig, wie sie es für ihr Gewicht ist. In dieser Richtung liegt auch der Materialismus der modernen Zeit, der selbst in seiner theoretischen Bedeutung irgendeine Wurzelgemeinschaft mit ihrer Geldwirtschaft haben muß: die Materie als solche ist das schlechthin Formlose, das Widerspiel aller Form, und wenn sie als das alleinige Prinzip der Wirklichkeit gilt, so ist an dieser ungefähr der gleiche Prozeß vollzogen, wie ihn die Reduktion auf den Geldwert an den Gegenständen unseres praktischen Interesses zuwege bringt. Ich werde noch öfters davon zu sprechen haben, wie - in tiefem Zusammenhang mit der Schwellenbedeutung der Geldquanten - das Geld in außerordentlich hohen Summen eine besondere, der leeren Quantitätshaftigkeit sich enthebende, gleichsam individuellere Gestalt gewinnt. So nimmt, auch schon rein äußerlich, seine Formlosigkeit mit steigender Masse relativ ab: die kleinen Stücke des frühesten italischen Kupfergeldes blieben ungeformt oder erhielten höchstens eine rohe runde oder kubische Gestalt; dagegen die größten wurden durchgängig in viereckige Barrenform gegossen und gewöhnlich auf beiden Seiten mit einer Marke versehen. In der prinzipiellen Formlosigkeit eben des Geldes als Geldes schlechthin aber wurzelt die Feindseligkeit zwischen der ästhetischen Tendenz und den Geldinteressen. Jene geht so sehr auf die bloße Form, daß man bekanntlich den eigentlich ästhetischen Wert z.B. aller bildenden Künste in die Zeichnung gesetzt hat, die als reine Form sich in jedem beliebigen stofflichen Quantum unverändert ausdrücken könne. Das ist nun zwar als Irrtum zugegeben, ja, noch viel weitergehend, als es bisher anerkannt ist, wird man sagen müssen, daß die absolute Größe, in der eine Kunstform sich darstellt, ihre ästhetische Bedeutung aufs erheblichste beeinflusse, und daß diese letztere durch jede kleinste Änderung der quantitativen Maße, bei absoluter Formgleichheit, sogleich modifiziert werde. Aber darum bleibt doch der ästhetische Wert der Dinge nicht weniger auf ihrer Form, d.h. auf dem Verhältnis ihrer Elemente zueinander, haften, wenngleich wir jetzt wissen, daß der Charakter und die Wirkung dieser Form durch das Quantum, an dem sie wirklich wird, sehr wesentlich mitbestimmt wird. Es ist vielleicht bezeichnend, daß zwar außerordentlich viele Sprichwörter, aber von den unzähligen Volksliedern nur wenige sich mit dem Gelde, trotz seiner lebenbeherrschenden Bedeutung, zu befassen scheinen und daß selbst, wo um einer Münzveränderung willen ein Aufstand ausbrach, die bei dieser Gelegenheit entstehenden und im Volke verbreiteten Lieder die Münzsache selbst meistens beiseite lassen. Es bleibt immer der unversöhnliche und für alle ästhetischen Interessen entscheidende Antagonismus der Betonung: ob man die Dinge nach dem Wert ihrer Form oder nach dem Wieviel ihres Wertes fragt, sobald dieser Wert ein bloß quantitativer, alle Qualität durch eine bloße Summe gleichartiger Einheiten ersetzender ist. Man kann sogar direkt sagen, daß, je mehr der Wert eines Dinges in seiner Form beruht, sein Wieviel um so gleichgültiger wird. Wenn die größten Kunstwerke, die wir besitzen, etwa der delphische Wagenlenker und der Praxitelische Hermes, der Frühling von Botticelli und die Mona Lisa, die Mediceergräber und Rembrandts Altersporträts - in tausend völlig ununterscheidbaren Exemplaren existierten, so wäre das zwar für das Glück der Menschheit ein großer Unterschied, aber der ideale, objektiv ästhetische, oder wenn man will: kunstgeschichtliche Wert wäre dadurch absolut nicht über denjenigen Grad hinaus gesteigert, den das eine, jetzt vorhandene Exemplar darstellt. Anders ist es schon mit kunstgewerblichen Gegenständen, bei denen die ästhetische Form eine völlige Einheit mit dem praktischen Gebrauchszweck bildet, so daß oft sogar die vollendetste Herausarbeitung dieses letzteren als der eigentliche ästhetische Reiz wirkt. Hier ist es für den ganzen so geschaffenen Wert wesentlich, daß der Gegenstand auch gebraucht werde, und deshalb wächst seine ideale Bedeutung mit seiner Verbreitung: in dem Maße, in dem das Objekt außer seiner Form noch anderen Wertelementen Raum gibt, wird auch das Wievielmal seiner Verwirklichung wichtig. Das ist auch der tiefste Zusammenhang zwischen der ethischen Werttheorie Nietzsches und der ästhetischen Stimmung seines Wesens: der Rang einer Gesellschaft bestimmt sich ihm nach der überhaupt in ihr erreichten Höhe der Werte, wie einsam sie auch sei, nicht aber nach dem Verbreitungsmaß von schätzbaren Qualitäten - wie der Rang einer Kunstepoche nicht von der Höhe und dem Quantum guter Durchschnittsleistungen, sondern nur von der Höhe der höchsten Leistungen abhängt. So neigt der Utilitarier, dem es allein auf die ganz greifbaren Ergebnisse des Handelns ankommt, zum Sozialismus, mit seiner Betonung der Vielen und der Verbreitung erwünschter Lebensmomente, während der idealistische Ethiker, dem die mehr oder weniger ästhetisch ausdrückbare - Form des Tuns am Herzen liegt, eher Individualist ist oder wenigstens, wie Kant, die Autonomie des Einzelnen vor allem betont. So ist es doch auch auf dem Gebiet des subjektiven Glückes. Von den äußersten Aufgipfelungen des Lebensgefühles, die gleichsam für das Ich seine vollste Ausprägung in dem Stoff des Daseins bedeuten, empfinden wir oft, daß sie sich gar nicht zu wiederholen brauchen. Dies einmal genossen zu haben, gibt dem Leben einen Wert, der durch das Noch-Einmal eben desselben durchaus nicht verhältnismäßig gesteigert wird. Gerade solche Augenblicke, in denen das Leben ganz individuelle Zuspitzung geworden ist und den Widerstand der Materie - im weitesten Sinne - seinem Fühlen und Wollen völlig unterworfen hat, bringen eine Atmosphäre mit sich, die man als Seitenstück der Zeitlosigkeit, der species aeternitatis bezeichnen könnte: eine Erhebung über die Zahl, wie dort über die Zeit. Und wie ein Naturgesetz seine Bedeutung für Charakter und Zusammenhang der Welt nicht von der Zahl seiner Verwirklichungsfälle entlehnt, sondern von der Tatsache, daß es überhaupt da ist, daß es, und kein anderes, gilt - so haben die Momente der höchsten Erhebung des Ich ihren Sinn für unser Leben darin, daß sie überhaupt einmal da waren, ohne daß eine Wiederholung, die ihrem Inhalt nichts hinzufügte, diesen Sinn vermehren könnte. Kurz, allenthalben macht die Zuspitzung der Wertgefühle auf die Form gegen ihre Quantitätsmomente gleichgültiger, während ihre Formlosigkeit gerade auf diese als wert entscheidende hinweist. -

 


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