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II. [Psychologische Folgen der teleologischen Stellung des Geldes: Geldgier, Geiz, Verschwendung, asketische Armut, moderner Zynismus, Blasiertheit]

 

Die andere Bedeutung der Nivellierung, die nicht sowohl die Verschiedenwertigkeit, als die Verschiedenartigkeit der Dinge trifft indem die zentrale Stellung des Geldes das Interesse an das ihnen Gemeinsame, im Gegensatz zu ihrer individuellen Ausbildungshöhe, heftet - findet ihren personalen Ausdruck in der Blasiertheit. Während der Zyniker sich durch das Wertgebiet doch noch zu einer Reaktion bewegen läßt, wenn auch in dem perversen Sinn, daß er in der Bewegung der Werte von oben nach unten einen Lebensreiz findet, ist der Blasierte, seinem freilich nie ganz realisierten Begriffe nach, den Unterschieden des Wertempfindens überhaupt abgestorben, er fühlt alle Dinge in einer gleichmäßig matten und grauen Tönung, nicht wert, sich dadurch zu einer Reaktion, insbesondere des Willens, aufregen zu lassen. Die entscheidende Nuance ist hier also nicht die Entwertung der Dinge überhaupt, sondern die Indifferenz gegen ihre spezifischen Unterschiede, da aus diesen gerade die ganze Lebhaftigkeit des Fühlens und Wollens quillt, die sich dem Blasierten versagt. Über wen erst einmal die Tatsache, daß man alle möglichen Mannigfaltigkeiten des Lebens für eben dieselbe Geldsumme haben kann, innerlich Macht gewonnen hat, der muß eben blasiert werden. In der Regel gelten erschöpfende Genüsse als die Ursache der Blasiertheit, und mit Recht, indem die allzu starken Reize schließlich alle Reaktionsfähigkeit aus den Nerven herauspumpen. Allein damit ist der Kreis der Blasiertheitserscheinungen noch nicht abgeschlossen. Die Reize der Dinge nämlich sind keineswegs nur die Ursachen der praktischen Betätigungen zu ihrem Gewinne, sondern auch umgekehrt, Art und Maß der praktisch erforderten Bemühung um sie bestimmen oft ihrerseits gerade die Tiefe und Lebhaftigkeit ihres Reizes für uns. Alle Individualisierungen des Strebens, alle Verschlingungen der Wege, alle besonderen Anforderungen, die der Erwerb des Gegenstandes stellt, werden auf diesen selbst als Besonderheiten seines Wesens und seines Verhältnisses zu uns übertragen, werden als Reize in ihm investiert; umgekehrt, auf je mechanischere und in sich gleichgültigere Weise der Erwerb des Gegenstandes gelingt, desto farb- und interesseloser erscheint er selbst - wie eben allenthalben nicht nur das Ziel den Weg, sondern auch der Weg das Ziel bestimmt. Deshalb muß der immer gleiche, keinem Gegenstande eine besondere Art der Beschaffung vorbehaltende Erwerb für Geld seine Objekte vergleichgültigen, und zwar offenbar um so gründlicher, je mehr der Reichtum diese praktische Reduktion der Wertunterschiede auf immer mehr Gegenstände erstreckt. So lange wir nicht in der Lage sind, die Dinge zu kaufen, wirken sie noch mit ihren ganzen, ihren Besonderheiten entsprechenden Reizen auf uns; sobald wir sie, vermöge unseres Geldbesitzes, ganz selbstverständlich auf jede Anregung hin erwerben, verblassen jene Reize nicht nur auf Grund des Besitzes und Genusses selbst, sondern auch wegen des indifferenten, ihren spezifischen Wert verlöschenden Weges zu ihrem Erwerb. Dieser Einfluß ist natürlich im einzelnen Fall unmerklich klein. In dem Verhältnis aber, das der Reiche zu den für Geld erwerbbaren Objekten hat, ja, vielleicht schon in der Gesamtfärbung, die der öffentliche Geist jetzt diesen Objekten allenthalben erteilt, ist er zu einer sehr merkbaren Größe angehäuft. So sind Zynismus und Blasiertheit nur die Antworten zweier verschiedener, manchmal auch gradweise gemischter Naturelle auf die gleiche Tatsache: bei zynischer Disposition erregt die Erfahrung, wie vieles für Geld zu haben, ist, und der Induktionsschluß, daß schließlich Alles und Alle käuflich sind, ein positives Lustgefühl, während für den zur Blasiertheit Neigenden eben dasselbe Bild der - Wirklichkeit ihr die letzten Möglichkeiten raubt, ihm zum Reize zu werden. Wahrend deshalb der Zyniker seine innere Lage in der Regel gar nicht abzuändern wünscht, ist dies beim Blasierten doch oft genug der Fall: das Gattungsmäßige in ihm verlangt nach den Lebensreizen, die seine individuelle Verfassung ihm unfühlbar macht. Daher die Begierde der Gegenwart nach An- und Aufregungen, nach extremen Eindrücken, nach der größten Raschheit ihres Wechsels - einer jener typischen Versuche, den Gefahren oder Leiden einer Situation durch quantitative Exaggerierung ihres Inhaltes abzuhelfen; wodurch freilich eine augenblickliche Ablenkung von ihrer sachlichen Bedeutung, nach kurzem aber das alte Verhältnis, jetzt erschwert durch das gestiegene Maß seiner Elemente, eintritt. Wesentlicher aber ist, daß die moderne Wertung des »Anregenden« als solchen an Eindrücken, Beziehungen, Belehrungen - ohne daß man zu betonen für nötig hielte, wozu es uns denn anrege - auch nur jenes charakteristische Befangensein in den Mitteln verrät: man begnügt sich mit diesem Vorstadium der eigentlichen Wertproduktion. Da nun die Sucht nach bloßen Anregungen als solchen die Folge der überhandnehmenden Blasiertheit ist, der die natürliche Erregbarkeit mehr und mehr schwindet, und da diese ihrerseits aus der Geldwirtschaft, mit ihrer Entfärbung aller spezifischen Werte durch einen bloßen Mittelwert, entspringt - so haben wir hier einen der interessanten Fälle, in denen die Krankheit dem Heilmittel ihre eigene Form mitgeteilt hat. Die Geldkultur bedeutet ein solches Befangensein des Lebens in seinen Mitteln, daß auch die Erlösung aus seinen Müdigkeiten wie selbstverständlich in einem bloßen, seine Endbedeutung verschweigenden Mittel: in der Tatsache des »Anregenden« schlechthin - gesucht wird.

 


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