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Kultur

Kultur. Von der „Rohigkeit“ gelangt der Mensch (s. d.) durch Ausbildung seiner Anlagen (s. d.) zur Kultur, zur Gestaltung des Daseins nach seinen Zwecken und Entfaltung seiner eigenen Kräfte. Die Kultur erarbeitet sich der Mensch in der Gesellschaft (s. d.). Der Mensch ist gesellig und zugleich ungesellig, er braucht die Vergesellschaftung, um Mensch zu sein, und hat doch auch den Hang, sich zu vereinzelnen und alles nach seinem Sinne zu richten. Der Widerstand gegen andere ist es, was „alle Kräfte des Menschen erweckt, ihn dahin bringt, seinen Hang zur Faulheit zu überwinden und, getrieben durch Ehrsucht, Herrschsucht oder Habsucht, sich einen Rang unter seinen Mitgenossen zu verschaffen, die er nicht wohl leiden, von denen er aber nicht lassen kann“. „Da geschehen nun die ersten wahren Schritte aus der Rohigkeit zur Kultur, die eigentlich in dem gesellschaftlichen Wert des Menschen besteht; da werden alle Talente nach und nach entwickelt, der Geschmack gebildet und selbst durch fortgesetzte Aufklärung der Anfang zur Gründung einer Denkungsart gemacht, welche die grobe Naturanlage zur sittlichen Unterscheidung mit der Zeit in bestimmte praktische Prinzipien, und so eine pathologisch-abgedrungene Zusammenstimmung zu einer Gesellschaft endlich in ein moralisches Ganze verwandeln kann.“ Ohne die „ungesellige Geselligkeit“ des Menschen würden „in einem arkadischen Schäferleben bei vollkommener Eintracht, Genügsamkeit und Wechselliebe“ „alle Talente auf ewig in ihren Keimen verborgen bleiben“, G. i. weltbürg. Absicht 4. Satz (VI 9 f.). „Alle Kultur und Kunst, welche die Menschheit ziert ..., sind Früchte der Ungeselligkeit, die durch sich selbst genötigt wird, sich zu disziplinieren und so durch abgedrungene Kunst die Keime der Natur vollständig zu entwickeln“, ibid. 5. Satz (VI 11). „Wir sind in hohem Grade durch Kunst und Wissenschaft kultiviert. Wir sind zivilisiert bis zum Überlästigen, zu allerlei gesellschaftlicher Artigkeit und Anständigkeit. Aber uns für schon moralisiert zu halten, daran fehlt noch viel. Denn die Idee der Moralität gehört noch zur Kultur; der Gebrauch dieser Idee aber, welcher nur auf das Sittenähnliche in der Ehrliebe und der äußeren Anständigkeit hinausläuft, macht bloß die Zivilisierung aus“, ibid. 7. Satz (VI 15). Die Natur hat bestimmt, daß der Mensch seine Menschlichkeit durch Tätigkeit und Vernunft entfalte, ibid. 3. Satz (VI 7 f.). Das „äußerste Ziel der Kultur ist eine vollkommene bürgerliche Verfassung“, Anf. d. Menschengesch. Anmerk. (VI 57). Der Krieg (s. d.) hat auch zur Kultur beigetragen, ibid. Schlußanmerk. (VI 62). Aber höchste Kultur ist „das Produkt einer nach Begriffen des Menschenrechts geordneten Staatsverfassung“, Rezens. von Herders „Ideen“ III (VI 45). Die Natur hat gewollt, daß die Menschen durch ihre eigene Vernunft aus der Zwietracht zur Eintracht übergehen; die Zwietracht ist ein Mittel, um „die Perfektionierung des Menschen durch fortschreitende Kultur, wenngleich mit mancher Aufopferung der Lebensfreuden desselben“, zu bewirken, Anthr. 2. T. E (IV 275 f.). Der Mensch hat eine „pragmatische“ Anlage (s. d.) der „Zivilisierung durch Kultur“, besonders der „Umgangseigenschaften“, er ist einer Erziehung fähig und bedürftig. Doch erreicht der Mensch seine ganze Bestimmung nur als Gattung, nicht als Individuum, ibid. (IV 278). Der Mensch ist bestimmt, „in einer Gesellschaft mit Menschen zu sein und in ihr sich durch Kunst und Wissenschaften zu kultivieren, zu zivilisieren und zu moralisieren, wie groß auch sein tierischer Hang sein mag, sich den Anreizen der Gemächlichkeit und des Wohllebens, die er Glückseligkeit nennt, passiv zu überlassen“. Er muß sich „tätig, im Kampf mit den Hindernissen, die ihm von der Rohigkeit seiner Natur anhängen“, der Menschheit würdig machen, ibid. (IV 279).

Von den Zwecken des Menschen in der Natur ist die „formale subjektive Bedingung“ die „Tauglichkeit, sich selbst überhaupt Zwecke zu setzen und (unabhängig von der Natur in seiner Zweckbestimmung) die Natur, den Maximen seiner freien Zwecke überhaupt angemessen als Mittel zu gebrauchen“. „Die Hervorbringung der Tauglichkeit eines vernünftigen Wesens zu beliebigen Zwecken überhaupt (folglich in seiner Freiheit) ist die Kultur.“ Nur die Kultur kann der letzte Zweck sein, den man der Natur betreffs der Menschengattung beizulegen Ursache hat. „Aber nicht jede Kultur ist zu diesem letzten Zwecke der Natur hinlänglich. Die der Geschicklichkeit ist freilich die vornehmste subjektive Bedingung der Tauglichkeit zur Beförderung der Zwecke überhaupt; aber doch nicht hinreichend, den Willen in der Bestimmung und Wahl seiner Zwecke zu befördern, welche doch zum ganzen Umfange einer Tauglichkeit zu Zwecken wesentlich gehört. Die letztere Bedingung der Tauglichkeit, welche man die Kultur der Zucht (Disziplin) nennen könnte, ist negativ und besteht in der Befreiung des Willens von dem Despotism der Begierden...“ Die Geschicklichkeit kann in der Menschengattung „nicht wohl entwickelt werden, als vermittelst der Ungleichheit unter Menschen; da die größte Zahl die Notwendigkeiten des Lebens gleichsam mechanisch, ohne dazu besonders Kunst zu bedürfen, zur Gemächlichkeit und Muße anderer besorgt, welche die minder notwendigen Stücke der Kultur, Wissenschaft und Kunst bearbeiten, und von diesen in einem Stande des Drucks, saurer Arbeit und wenig Genusses gehalten wird; auf welche Klasse sich dann doch manches von der Kultur der höheren nach und nach auch verbreitet. Die Plagen aber wachsen im Fortschritte derselben ... auf beiden Seiten gleich mächtig, auf der einen durch fremde Gewalttätigkeit, auf der andern durch innere Ungenügsamkeit; aber das glänzende Elend ist doch mit der Entwicklung der Naturanlagen in der Menschengattung verbunden, und der Zweck der Natur selbst, wenn es gleich nicht unser Zweck ist, wird doch hierbei erreicht.“ „Die formale Bedingung, unter welcher die Natur diese ihre Endabsicht allein erreichen kann, ist diejenige Verfassung im Verhältnisse der Menschen untereinander, wo dem Abbruche der einander wechselseitig widerstreitenden Freiheit gesetzmäßige Gewalt in einem Ganzen, welches bürgerliche Gesellschaft heißt, entgegengesetzt wird; denn nur in ihr kann die größte Entwicklung der Naturanlagen geschehen.“ Es gehört schließlich dazu noch ein weltbürgerliches Ganzes, ein „System aller Staaten“. Sonst ist der Krieg unvermeidlich, KU § 83 (II 300 ff.).

„Was die Disziplin der Neigungen betrifft, zu denen die Naturanlage in Absicht auf unsere Bestimmung als einer Tiergattung, ganz zweckmäßig ist, die aber die Entwicklung der Menschheit sehr erschweren; so zeigt sich doch auch in Ansehung dieses zweiten Erfordernisses zur Kultur ein zweckmäßiges Streben der Natur zu einer Ausbildung, welche uns höherer Zwecke, als die Natur selbst liefern kann, empfänglich macht.“ „Schöne Kunst und Wissenschaften, die durch eine Lust, die sich allgemein mitteilen läßt, und durch Geschliffenheit und Verfeinerung für die Gesellschaft, wenngleich den Menschen nicht sittlich besser, doch gesittet machen, gewinnen der Tyrannei des Sinnenhanges sehr viel ab und bereiten dadurch den Menschen zu einer Herrschaft vor, in welcher die Vernunft allein Gewalt haben soll; indes die Übel, womit uns teils die Natur, teils die unvertragsame Selbstsucht der Menschen heimsucht, zugleich die Kräfte der Seele aufbieten, steigern und stählen, um jenen nicht zu unterliegen, und uns so eine Tauglichkeit zu höheren Zwecken, die in uns verborgen liegt, fühlen lassen“, ibid. (II 302 f.).

Die Kultur des Verstandes und des Willens, der menschlichen Anlagen ist ein Zweck, der zugleich Pflicht („Pflicht zur Kultur“) ist, MST Einl. V A (IV 227); vgl. VIII (IV 233 f.). Vgl. Vollkommenheit. „Der Anbau (cultura) seiner Naturkräfte (Geistes-, Seelen- und Leibeskräfte) als Mittel zu allerlei möglichen Zwecken ist Pflicht des Menschen gegen sich selbst. — Der Mensch ist es sich selbst (als einem Vernunftwesen) schuldig, die Naturanlage und Vermögen, von denen seine Vernunft dereinst Gebrauch machen kann, nicht unbenutzt und gleichsam rosten zu lassen, sondern, gesetzt, daß er auch mit dem angeborenen Maß seines Vermögens für die natürlichen Bedürfnisse zufrieden sein könne, so muß ihm doch seine Vernunft dieses Zufriedensein mit dem geringen Maß seiner Vermögen erst durch Grundsätze anweisen, weil er als ein Wesen, das der Zwecke (sich Gegenstände zum Zweck zu machen) fähig ist, den Gebrauch seiner Kräfte nicht bloß dem Instinkt der Natur, sondern der Freiheit, mit der er dieses Maß bestimmt, zu verdanken haben muß. Es ist also nicht Rücksicht auf den Vorteil, den die Kultur seines Vermögens (zu allerlei Zwecken) verschaffen kann; denn dieser würde vielleicht (nach Rousseauschen Grundsätzen) für die Rohigkeit des Naturbedürfnisses vorteilhaft ausfallen, sondern es ist Gebot der moralisch-praktischen Vernunft und Pflicht des Menschen gegen sich selbst, seine Vermögen ... anzubauen und in pragmatischer Rücksicht ein dem Zweck seines Daseins angemessener Mensch zu sein“, MST § 19 (IV 298 f.). Es ist Pflicht des Menschen gegen sich selbst, „ein der Welt nützliches Glied zu sein, weil dieses auch zum Wert der Menschheit in seiner eigenen Person gehört, die er also nicht abwürdigen soll“, ibid. § 20 (IV 300). „Kultur begreift unter sich die Belehrung und die Unterweisung. Sie ist die Verschaffung der Geschicklichkeit.“ „Zivilisierung“ ist eine gewisse Art von Kultur, die den Menschen klug, für die Gesellschaft passend macht, Über Pädagogik Einl. (VIII 201 f.). Zu kultivieren sind die Körper- und Seelenkräfte (vgl. Erziehung). „Physische“ und „praktische“ Kultur, welche letztere wieder pragmatisch„ oder “moralisch„ (Moralisierung) ist, sind zu unterscheiden. Es gibt eine physische Kultur des Körpers und des Geistes; letztere ist “freie„ oder “scholastische" Kultur, ibid. (VIII 228).

„Wir Menschen sind in dem zweiten Grade des Fortschritts zur Vollkommenheit, zwar kultiviert und zivilisiert, aber nicht moralisiert. Wir haben den höchsten Grad der Kultur den wir ohne Moralität besitzen können; die Zivilität hat auch ihr Maximum.“ „Der Luxus gehört zur Kultur. Die Zivilisierung gibt ihm etwas Gesittetes und also Geschmack“, N 1460. Alle Übel, die das Leben der Menschen bedrohen und zur Aufweckung ihrer Kräfte und Talente dienen, „verschwinden durch die allmähliche Kultur der Menschen nach und nach“, N 1456. Vgl. Erziehung, Geschichte, Geschmack („Kultur des Geschmacks“), Sittlichkeit („Moralische Kultur“), Fortschritt, Moralisierung, Vollkommenheit.