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Hypothese

Hypothese. Metaphysische „Erdichtungen“ haben nicht einmal den Wert naturwissenschaftlicher Hypothesen, „bei welchen man keine Grundkräfte ersinnt, sondern diejenigen, welche man durch Erfahrung schon kennt, nur auf eine den Erscheinungen angemessene Art verbindet, und deren Möglichkeit sich also jederzeit muß können beweisen lassen“. Bei den metaphysischen Hypothesen hingegen werden „neue Fundamentalverhältnise von Ursache und Wirkung“ angenommen, „in welchen man niemals den mindesten Begriff ihrer Möglichkeit haben kann, und also nur schöpferisch oder chimärisch, wie man es nennen will, dichtet“. „Die Begreiflichkeit verschiedener wahren oder angeblichen Erscheinungen aus dergleichen angenommenen Grundideen dient diesen zu gar keinem Vorteile. Denn man kann leicht von allem Grund angeben, wenn man berechtigt ist, Tätigkeiten und Wirkungsgesetze zu ersinnen, wie man will“, Träume 2. T. 3. H. (V 2, 67).

Das Kriterium einer Hypothese ist „die Verständlichkeit des angenommenen Erklärungsgrundes oder dessen Einheit (ohne Hilfshypothese), die Wahrheit (Übereinstimmung unter sich selbst und mit der Erfahrung der daraus abzuleitenden Folgen), und endlich die Vollständigkeit des Erklärungsgrundes zu ihnen, die auf nichts mehr noch weniger zurückweisen, als in der Hypothese angenommen worden, und das, was a priori synthetisch gedacht war, a posteriori analytisch wieder liefern und dazu zusammenstimmen“, KrV tr. Anal. § 12 (I 137—Rc 157). Ist die Möglichkeit des Gegenstandes gewiß, dann ist es erlaubt, „wegen der Wirklichkeit desselben zur Meinung seine Zuflucht zu nehmen, die aber, um nicht grundlos zu sein, mit dem, was wirklich gegeben und folglich gewiß ist, als Erklärungsgrund in Verknüpfung gebracht werden muß und alsdann Hypothese heißt“. Erforderlich ist auch die „Zulänglichkeit“ der Hypothese, „um daraus a priori die Folgen, welche gegeben sind, zu bestimmen“. „Hilfeleistende“ Hypothesen geben leicht den Verdacht einer bloßen Erdichtung, weil jede derselben an sich dieselbe Rechtfertigung bedarf, ibid. tr. Meth. 1. H. 3. Abs. (I 641, 644—Rc 790, 793 f.). „Eine Hypothese ist ein Fürwahrhalten des Urteiles von der Wahrheit eines Grundes um der Zulänglichkeit der Folgen willen, oder kürzer: das Fürwahrhalten einer Voraussetzung als Grund.“ „Alles Fürwahrhalten in Hypothesen gründet sich demnach darauf, daß die Voraussetzung, als Grund, hinreichend ist, andere Erkenntnisse, als Folgen, daraus zu erklären. Denn wir schließen hier von der Wahrheit der Folge auf die Wahrheit des Grundes.“ Da wir aber nie alle möglichen Folgen bestimmen können, die zur apodiktischen Gewißheit des Grundes notwendig wären, so müssen Hypothesen immer Hypothesen bleiben, d. h. „Voraussetzungen, zu deren völliger Gewißheit wir nie gelangen können“. „Dessenungeachtet kann die Wahrscheinlichkeit einer Hypothese doch wachsen und zu einem Analogon der Gewißheit sich erheben, wenn nämlich alle Folgen, die uns bis jetzt vorgekommen sind, aus dem vorausgesetzten Grunde sich erklären lassen. Denn in einem solchen Falle ist kein Grund da, warum wir nicht annehmen sollten, daß sich daraus alle möglichen Folgen werden erklären lassen. Wir ergeben uns also in diesem Falle der Hypothese, als wäre sie völlig gewiß, obgleich sie es nur durch Induktion ist.“ In jeder Hypothese muß apodiktisch gewiß sein 1. die Möglichkeit der Voraussetzung selbst, 2. die Konsequenz („aus dem angenommenen Grunde müssen die Folgen richtig herfließen, sonst wird aus der Hypothese eine bloße Chimäre“), 3. die Einheit (ohne Hilfshypothesen). „Es gibt Wissenschaften, die keine Hypothesen erlauben, wie z. B. die Mathematik und Metaphysik. Aber in der Naturlehre sind sie nützlich und unentbehrlich“, Log. Einl. X (IV 94 f.). Vgl. Wahrscheinlichkeit, Annahme, Glaube, Metaphysik, Idee Als ob.