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Gewißheit

Gewißheit. „Man ist gewiß, insofern man erkennt, daß es unmöglich sei, daß eine Erkenntnis falsch sei. Der Grad dieser Gewißheit, wenn er objektive genommen wird, kommt auf das Zureichende in den Merkmalen von der Notwendigkeit einer Wahrheit an; insofern er aber subjektive betrachtet wird, so ist er insofern größer, als die Erkenntnis dieser Notwendigkeit mehr Anschauung hat. In beider Betrachtung ist die mathematische Gewißheit von anderer Art als die philosophische.“ Die Mathematik (s. d.), welche zu ihren Begriffen synthetisch gelangt, weiß sicher: „was sie sich in ihrem Objekte durch die Definition nicht hat vorstellen wollen, das ist darin auch nicht enthalten“. Die Metaphysik (s. d.) hingegen ist in ihren Erklärungen weit unsicherer, denn die Begriffe sind hier „gegeben“. „Bemerkt man nun ein oder das andere Merkmal nicht, was gleichwohl zu seiner hinreichenden Unterscheidung gehört, und urteilt, daß zu dem ausführlichen Begriffe kein solches Merkmal fehle, so wird die Definition falsch und trüglich.“ Ferner kann man, da die Zeichen der Mathematik „sinnliche Erkenntnismittel“ sind, sicher sein, daß man keinen Begriff außer acht gelassen, usw. Die Worte als die Zeichen der philosophischen Erkenntnis hingegen helfen nur zur Erinnerung der bezeichneten Begriffe; ihre Bedeutung muß man jederzeit vor Augen haben. Unmerklich entgeht uns ein Merkmal des Begriffes, und es werden dann verschiedene Dinge für einerlei gehalten, Nat. Theol. 3. Btr. § 1 (V 1, 135 f.). Die metaphysische Gewißheit ist die jeder anderen philosophischen Erkenntnis und eine solche, die „zur Überzeugung hinreicht“, ibid. § 2 (V 1, 137 f.). Die Gewißheit der „ersten Grundwahrheiten“ ist „von keiner anderen Art als in jeder anderen vernünftigen Erkenntnis außer der Mathematik“, ibid. § 3 (V 1, 138 f.). Die obersten und allgemeinen Grundsätze der Gewißheit sind der Satz der Identität und der des Widerspruchs. Die unerweislichen „materialen Grundsätze“ der Philosophie (z. B. ein Körper ist zusammengesetzt) stehen unmittelbar unter den formalen ersten Grundsätzen, ibid. § 3 (V 1, 139 f.).

Die subjektiv zureichende Zulänglichkeit des Fürwahrhaltens heißt „Überzeugung“ (s. d.), für mich selbst, die objektive „Gewißheit“ (für jedermann), KrV tr. Meth. 2. H. 3. Abs. (I 679—Rc 832). Die „ästhetische“ Gewißheit „beruht auf dem, was dem Zeugnisse der Sinne zufolge notwendig ist, d. i. was durch Empfindung und Erfahrung bestätigt wird“, Log. Einl. V (IV 43). „Das gewisse Fürwahrhalten oder die Gewißheit ist mit dem Bewußtsein der Notwendigkeit verbunden.“ Was ich weiß (im Gegensatz zum Meinen und Glauben) ist „apodiktisch gewiß“, d. i. „allgemein und objektiv notwendig (für alle geltend)“, ibid. IX (IV 73). Apodiktische Gewißheit kommt nur apriorischen (s. d.) Urteilen, nicht dem zu, was bloß aus der Erfahrung (s. d.) und Induktion stammt (vgl. Allgemein). Der Glaube (s. d.) hat seine eigene (subjektive) Gewißheit, die ebenso stark sein kann wie die Gewißheit des Wissens

„Die Ungewißheit ist entweder eine Ungewißheit der Sachen oder der Einsicht. Ob gleich die Gegenstände der Erkenntnis an sich selbst dasjenige gewiß sind, was sie sind, so kann man doch diesen Sachen die Ungewißheit beilegen, insoferne aus demjenigen, was man an ihnen erkennt und was also gegeben ist, von dem übrigen, welches man sucht, nichts festgesetzt wird, man mag diese Data noch so vollkommen erkennen, wie man immer will.“ Die „objektivische“ Ungewißheit findet sich in jeder Erkenntnis, welche eingeschränkt ist. Die Ungewißheit besteht in der Möglichkeit, zu irren, d. h. ein falsches Urteil zu fällen. Die Gründe dazu sind negativ oder positiv; entweder fehlen Gründe zu einem gewissen wahren Urteile oder es sind positive Gründe nicht der Beschaffenheit der Sachen gemäß. Ist das Bewußtsein der objektiven Ungewißheit vorhanden, so ist, bei allem Triebe, ein Urteil zu fällen, der Irrtum unmöglich. Man kann nicht sagen, daß eine Gewißheit größer sei als die andere; die Art derselben betrifft nicht die Gewißheit, sondern die Klarheit. Alle Ungewißheit ist eine Möglichkeit, zu irren. Diese hat entweder eine „Potentiale“ oder „aktuale“ Bedingung. „Die erste wird so verstanden, daß man irren könnte, wenn man urteilen wollte, die zweite, daß es auch aus wirklichen Gründen eine bedingte Möglichkeit gibt, zu urteilen, wo es gleichwohl möglich ist, zu irren. Die Potentiale Möglichkeit, zu irren, beruht auf der Beschaffenheit der Sachen, da nämlich aus dem, was man von ihnen erkennt, nicht bestimmt ist, was ihnen zukomme oder nicht; die aktuale Bedingung der Ungewißheit ist der Grund, zu urteilen, worin doch eine potentiale Ungewißheit steckt. Dieser Grund zu urteilen steckt in der scheinbaren Ähnlichkeit des Verfahrens bei einer falschen Erkenntnis mit der bei einer wahren“, Lose Bl. 5; vgl. N 2422 ff. Vgl. Apodiktisch, Fürwahrhalten, Überzeugung, Evidenz, Wahrscheinlichkeit, Kritik der reinen Vernunft, A priori, Erkenntnis, Metaphysik, Mathematik, Kritizismus, Glaube.