d. Fortgesetztes Gespräch zwischen dem Dicken und dem Beter


Ich aber versuchte schon eine Zeitlang mich aufzumuntern. Ich rieb meinen Körper und sagte zu mir:

»Es ist Zeit, daß Du sprichst. Du bist ja schon verlegen. Fühlst Du Dich bedrängt? Warte doch! Du kennst ja diese Lagen. Überlege es ohne Eile! Auch die Umgebung wird warten.«

»Es ist so wie in der Gesellschaft der vorigen Woche. Jemand liest aus einer Abschrift etwas vor. Eine Seite habe ich auf seine Bitte selbst abgeschrieben. Wie ich die Schrift unter den von ihm geschriebenen Seiten lese, erschrecke ich. Es ist haltlos. Die Leute beugen sich darüber von den drei Seiten des Tisches her. Ich schwöre weinend, es sei nicht meine Schrift.«

»Aber warum sollte das dem Heutigen ähnlich sein. Es liegt doch nur an Dir daß ein eingezäuntes Gespräch entsteht. Alles ist friedlich. Strenge Dich doch an, mein Lieber! – Du wirst doch einen Einwand finden. – Du kannst sagen: ›Ich bin schläfrig. Ich habe Kopfschmerzen. Adieu.‹ Rasch, also rasch. Mach Dich bemerkbar! – Was ist das? Wieder Hindernisse und Hindernisse Woran erinnerst Du Dich? – Ich erinnere mich an eine Hochebene die sich gegen den großen Himmel als ein Schild der Erde hob. Ich sah sie von einem Berge und machte mich bereit sie zu durchwandern. Ich fieng zu singen an.«

Meine Lippen waren trocken und ungehorsam, als ich sagte:

»Sollte man nicht anders leben können?«

»Nein«, sagte er fragend, lächelnd.

»Aber warum beten Sie am Abend in der Kirche«, fragte ich dann, indem alles zwischen mir und ihm zusammenfiel, was ich bis dahin wie schlafend gestützt hatte.

»Nein, warum sollten wir darüber reden. Am Abend trägt niemand, der allein lebt Verantwortung. Man fürchtet manches. Daß vielleicht die Körperlichkeit entschwindet, daß die Menschen wirklich so sind wie sie in der Dämmerung scheinen, daß man ohne Stock nicht gehen dürfe, daß es vielleicht gut wäre in die Kirche zu gehn und schreiend zu beten um angeschaut zu werden und Körper zu bekommen.«

Da er so redete und dann schwieg, zog ich mein rotes Taschentuch aus der Tasche und weinte gebückt.

Er stand auf, küßte mich und sagte:

»Warum weinst Du? Du bist groß, das liebe ich, Du hast lange Hände, die sich fast nach Deinem Willen aufführen; warum freust Du Dich nicht darüber. Trage immer dunkelfarbige Ärmelränder, das rate ich Dir. – Nein – ich schmeichle Dir und dennoch weinst Du? Diese Schwierigkeit des Lebens trägst Du doch ganz vernünftig.«

»Wir bauen eigentlich unbrauchbare Kriegsmaschinen, Türme, Mauern, Vorhänge aus Seide und wir könnten uns viel darüber wundern, wenn wir Zeit dazu hätten. Und erhalten uns in Schwebe, wir fallen nicht, wir flattern, wenn wir auch häßlicher sind als Fledermäuse. Und schon kann uns kaum jemand an einem schönen Tage hindern zu sagen: ›Ach Gott heute ist ein schöner Tag.‹ Denn schon sind wir auf unserer Erde eingerichtet und leben auf Grund unseres Einverständnisses.«

»Wir sind nämlich so wie Baumstämme im Schnee. Sie liegen doch scheinbar nur glatt auf und man sollte sie mit kleinem Anstoß wegschieben können. Aber nein, das kann man nicht, denn sie sind fest mit dem Boden verbunden. Aber sieh, sogar das ist bloß scheinbar.«

Nachdenken hinderte mich am Weinen: »Es ist Nacht und niemand wird mir morgen vorhalten, was ich jetzt sagen könnte, denn es kann ja im Schlaf gesprochen sein.«

Dann sagte ich: »Ja, das ist es, aber wovon redeten wir doch. Wir konnten doch nicht von der Beleuchtung des Himmels reden da wir doch in der Tiefe einer Hausflur stehn. Nein – doch wir hätten davon reden können, denn sind wir in unserem Gespräch nicht ganz unabhängig, da wir nicht Zweck noch Wahrheit erreichen wollen, sondern nur Scherz und Unterhaltung. Aber könnten Sie mir nicht dennoch die Geschichte von der Frau im Garten noch einmal erzählen. Wie bewunderungswürdig, wie klug ist diese Frau! Wir müssen uns nach ihrem Beispiel benehmen. Wie gern habe ich sie! Und dann ist es auch gut, daß ich Sie getroffen und so abgefangen habe. Es war für mich ein großes Vergnügen mit Ihnen gesprochen zu haben. Ich habe einiges mir bisher vielleicht absichtlich unbekannte gehört – ich freue mich.«

Er sah zufrieden aus. Trotzdem mir die Berührung mit einem menschlichen Körper immer peinlich ist, mußte ich ihn umarmen.

Dann traten wir aus dem Gang unter den Himmel. Einige zerstoßene Wölkchen blies mein Freund weg, so daß sich jetzt die ununterbrochene Fläche der Sterne uns darbot. Mein Freund ging mühsam.


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Seite zuletzt aktualisiert: 24.09.2006 
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