Anmut

Anmut. (Schöne Künste) Die Eigenschaft eines Gegenstandes, wodurch er, im ganzen betrachtet, das Gemüt mit einem sanften und stillen Vergnügen rührt. So schreibt man einem schönen Frühlingstag eine Anmut zu. Es gibt sehr schöne Gegenstände die nicht anmutig sind. Denn alles, was das Gemüt mit sehr lebhaftem Vergnügen oder mit Bewunderung und Begierde erfüllt, hat diese Eigenschaft nicht. Sie scheint, wie der Herr von Hagedorn [s. Betrachtung über die Malerei. S. 29] bereits angemerkt hat, nahe an das zu gränzen, was man den Reiz oder die Grazie zu nennen pflegt. Sie gewinnt das ganze Gemüt und erregt eine sehr sanfte und durchaus angenehme Zuneigung gegen die Sachen.

Die Anmut scheint aus solchen Schönheiten zu entstehen, die man nicht besonders unterscheidet; weil keine sich besonders ausnimmt: sie verfließen alle zusammen in ein harmonisches Ganzes. Man nennt deswegen in der Malerei das Kolorit anmutig, wo weder sehr starke Lichter noch starke Schatten sind, sondern wo viel helle und angenehme Farben in einer sanften Harmonie stehen. Unter den Malern hat Corregio die höchste Anmut erreicht und ist darin für den ersten Meister zu halten, so wie Raphael im Ausdrucke. Fast in eben diesem Verhältnisse stehen unter den Dichtern, Virgil, der Meister der Anmutigkeit und Homer, des Ausdrucks.

Anmutig sein ist also der besondere Charakter einer gewissen Art des Schönen, wodurch es sich von dem Schönen Erhabenen oder Prächtigen oder Feurigen unterscheidet. Das Anmutige gefällt allen Arten von Gemütern, aber ruhigen und stillen am meisten; denn in ihnen findet sich die meiste Ruhe.

Die Anmut erreicht kein Künstler als der, dem die Natur eine sanfte, gefällige Seele gegeben hat. Nicht die größten, sondern die liebenswürdigsten Künstler, sind dazu geschickt. Dergleichen waren in redenden Künsten Virgil und Addison; in zeichnenden, Corregio und Claude Lorrain; in der Musik, Graun, dessen liebenswürdige Seele sich auch selbst da zeigt, wo er zornig sein will.

 

 


Vergleiche ferner:

- Anmut (Eisler, Wörterb. d. phil. Begr.)


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Seite zuletzt aktualisiert: 23.10.2004 
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