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Kausalität ist Gedächtnis

Jede Erklärung für die Vererbungserscheinungen fehlt, die Erscheinungen selbst jedoch sind Tatsachen, eigentlich die gewissesten Tatsachen unserer Welterkenntnis. Wir brauchen bloß die Vererbung als das unbewußte Gedächtnis der organisierten Welt oder des Lebens aufzufassen, und die Vererbung wird sofort aus einem wichtigen Spezialfälle der Kausalität ein Begriff, der die gesamte Kausalität der Organismen mit umfaßt. Und dehnt man gar den Begriff Gedächtnis in ähnlicher Weise, wie es Schopenhauer mit dem Willen getan hat, auf die Erscheinungen der unorganischen Welt aus, sieht man ein Analogon des Gedächtnisses in der Kristallisation, in den chemischen Verwandtschaften, in der Schwerkraft usw., so wird die Kausalität überall von der Vererbung oder dem Gedächtnisse verdrängt. Innerhalb der organischen Welt ist Vererbung die Form der Notwendigkeit; und da das Leben des Einzelmenschen außer von der Vererbung nur noch von Anpassungen an äußere organische und unorganische Mächte bedingt wird, so braucht man die starre Kausalität des Anorganischen nicht erst durch den erweiterten Begriff der Vererbung zu ersetzen, um die Notwendigkeit aller Lebenserscheinungen zu begreifen. Nebenbei — wie sich denn in jedem Punkte der Wirklichkeit die entlegensten Begriffe berühren können — wird aus dieser Betrachtung klar, dass der vom heiligen Augustinus erfundene und heute noch von den Kanzeln gepredigte Begriff der Erbsünde eine contradictio in adjecto ist, weil die Sünde den Begriff der Willensfreiheit, die Erblichkeit aber den Begriff der zwingenden Notwendigkeit in sich schließt.