Angemessen

Angemessen. (Schöne Künste) Das Zufällige in einer Sache, das mit dem Wesentlichen sehr genau überein kommt und ihm dadurch eigen wird. Ein angemessener Ausdruck ist der, darin alle Worte so gewählt werden, wie sie sich zum Wesen am genauesten schicken. Ein langsamer Ausdruck ist der langsamen Vorstellung angemessen; ein schneller der lebhaften. Niedrige Wörter sind niedrigen und hohe erhabenen Vorstellungen angemessen. Ein Beispiel eines sehr angemessenen Ausdrucks gibt uns folgende Stelle des Sophokles in der Elektra. Diese Prinzeßinn sagt zu ihrer Schwester:1

Dir werde eine kostbare Tafel gedeckt und Überfluss herrsche in deiner Lebensart; mein Brod aber sei bloß zur Notdurft.

Der fürstlichen Lebensart der Chrysothemis sind die Worte, kostbare Tafel, angemessen; der niedrige Ausdruck, des täglichen Brodes, (Futters) der unterdrückten Elektra.

 Es ist sehr wesentlich, dass sich jeder Künstler auf das angemessene äußerst befleiße. Denn entweder ist das Zufällige so unbestimmt, dass es sich zu verschie denen Sachen schickt; oder es ist gar der Sache unangemessen. In diesem letzten Falle ist es anstößig, weil es ungereimt ist: im anderen Falle aber vermisst man wenigstens den Reiz, der vom Angemessenen her kommt. Zwar werden Künstler von feinem Geschmacke selten in den Fehler des Unangemessenen verfallen; aber das genau angemessene erfordert große Scharfsinnigkeit und feinen Witz. Eben darum aber gibt es den Werken des Geschmacks eine große Schönheit.

  Man sieht bisweilen Menschen, bei denen alles Zufällige, ihre Figur, ihre Gesichtszüge, Gebärden, jeder kleinste Anstand, so genau mit dem, was sie sind, überein stimmen, dass man sie mit dem größten Vergnügen betrachtet. So muss in jedem vollkommenen Werke der Kunst alles angemessen sein. Dann wird man es immer mit neuem Vergnügen genießen. Denn der Geist wird nimmer gesättiget, feine Übereinstimmungen zu bemerken.

  Wie wohl alle Künstler sich auf das Angemessene äußerst befleißen müssen, so ist es doch den Schauspielern vorzüglich nötig. Wenn sie gefallen wollen, so muss in ihrer ganzen Person nichts sein, das dem Stand und Charakter der Person, die sie vorstellen, nicht genau angemessen sei.

 

________________

1 Electi. vs. 363.

 

 


 © textlog.de 2004 • 29.03.2024 15:40:52 •
Seite zuletzt aktualisiert: 23.10.2004 
bibliothek
text
  Home  Impressum  Copyright  A  B  C  D  E  F  G  H  I  J  K  L  M  N  O  P  Q  R  S  T  U  V  W  Z