Zum Hauptinhalt springen

Sprachmischung

Diese schematische Annahme erfordert aber eine Verbesserung. Es ist weder im großen ganzen noch im einzelnen bei dieser linearen Erbfolge der Worte geblieben, jedermann weiß, dass es keine Sprache gibt, die auf sich selbst allein beschränkt geblieben wäre, dass jedes Volk von seinen Nachbarn Worte aufgenommen und angenommen hat. Diese Sprachmischung würde aber auf die von mir denunzierte Bildervermischung nur einen geringen Einfluß haben können, wenn es sich dabei nur um die Fremdwörter handeln würde, die wir z. B. in unseren Kultlirsprachen erkennen und einander gelegentlich vorwerfen. Eine einzige Überlegung genügt, um einzusehen, dass diese Sprachmischung in historischer Zeit an Häufigkeit nachgelassen haben muß. Unsere gefestigten, ganze Völker beherrschenden Gemeinsprachen fühlen sich als geschlossene Einheiten und wehren sich darum mit mehr oder weniger Geschmack, mit mehr oder weniger Erfolg gegen den Einbruch fremder Wörter, die aber freilich trotzdem ihr altes Recht wahren. Wenn heute Frankreich von Deutschland überflutet würde oder umgekehrt, so würden die beiden Gemeinsprachen einander schon durch ihre Literatur getrennt gegenüberstehen und es wäre kaum möglich, dass heute noch eine solche Mischsprache entstünde, wie beinahe unter unsern Augen das Englische entstanden ist und wie sich in weiter zurückliegenden Jahrhunderten das Französische und das Spanische aus Mischungen gebildet hat, wie endlich das Neupersische entstanden ist. Das literarische Bewußtsein, verbunden mit dem politischen Nationalgefühl, bekämpft die Sprachmischung; in Böhmen, wo das Volk noch vor fünfzig Jahren dabei war, eine Mischsprache auszubilden, stehen sich jetzt Deutsch und Tschechisch vollkommen getrennt gegenüber.

In noch weiter zurückliegenden Zeiten, als wir sie bei unsern Kultursprachen kennen, muß aber die Sprachmischung eine dauernde und höchst einflußreiche Rolle gespielt haben. Ja wir können uns die Entwicklung der Sprache überhaupt nicht anders denken als so, dass in den fernsten Urzeiten jede Familie nur ihre paar Worte ererbt hatte und diesen Wortschatz unaufhörlich in der friedlichen oder feindlichen Berührung mit Nachbarfamilien ergänzte. Wir sehen diese Erscheinung tagtäglich, wenn wir beobachten, wie Kinder verschiedener Familien in der Schule ihren Sprachschatz erweitern. Stellen wir uns nun einen Urzustand (Urzustand immer als eine willkürlich herausgegriffene Zeit gedacht) recht lebhaft vor, so werden wir freilich vermuten, dass die alltägliche Sprachmischung bei so kleinem Wort- und Formenschatze vielleicht gar nicht die Empfindung der Sprachmischung erzeugen konnte. Man brauchte das neu eingeführte Wort nicht als ein Fremdwort zu empfinden; wo bei einer völligen Zersplitterung des Landes der Weimaraner für Gotha ein Ausländer ist, da ist der Franzose nicht in viel höherem Maße ein Ausländer. Es scheint selbstverständlich, dass vor Entwicklung von Volksgemeinschaften und größeren Sprachgemeinschaften die Sprachmischung etwas so Fließendes und Unaufhörliches gewesen sein muß wie der Wind der Luft. Die ungeheure Ausdehnung der Wortwanderungen habe ich in der Einleitung zu meinem "Wörterbuch der Philosophie" ausführlich dargestellt. Der psychologische Vorgang aber bei der Aufnahme eines nicht ererbten Wortes mußte schon der gleiche sein wie heutzutage.