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Metaphorische Erweiterung

Bedeutungswandel der Worte trifft nach unserer Ausdrucksweise sehr häufig nur die Erweiterung der Begriffe. Denn die Einengung nennen wir erst in ihrem letzten Ergebnis einen Wandel; der Vorgang selbst ist der Verlust einer Gruppe von andern Bedeutungen. Die Erweiterung aber besteht regelmäßig in der metaphorischen Anwendung, in der Eroberung eines neuen Inhalts. Bei einem verhältnismäßig neuen Worte wie Flügel wird dieses Verhältnis sehr deutlich. Die Bedeutung des Flügels als eines Vogelfittichs (etymologisch gar nicht so einfach) ist uns allen gegenwärtig; es ist also gar nicht schwer, dem Müller, der von den Flügeln seiner Windmühle, dem Offizier, der von Flügeln seiner Armee, dem Schloßherrn, der vom Flügel seines Schlosses spricht, zu zeigen, dass metaphorisch der seitliche Teil der Mühle, der Armee, des Hauses gemeint sei, wie ein Fittich der seitliche Teil des Vogelleibes ist. Auch darauf, dass ein Flügel (Klavier) seinen Namen von der Ähnlichkeit mit einem dreieckigen, geschweiften Fittich erhalten habe, wird auch ein schlichter Verstand von selber kommen.

Im Zusammenhang mit solchen Erweiterungen geschieht es dann, dass das eroberte Gebiet allein behauptet wird und der alte Besitz verloren geht, wo dann — wenn der Zusammenhang nicht klar ist — ein reiner Bedeutungswandel ohne Erweiterung vorzuliegen scheint. Im Französischen und Italienischen ist der alte Ausdruck für Kopf (capo, chef) so sehr in metaphorischer Bedeutung als "Führer" üblich geworden, dass die ursprüngliche verloren ging; wobei ich beiseite lasse, um wie viel armselige Jahre früher die "ursprüngliche Bedeutung selber eine Metapher gewesen sein mag. An die Stelle rückte testa, tête, so viel wie Topf, was doch eine recht gemeine Metapher war, bis sie so allgemein wurde, dass sie gemein zu sein aufhörte. Nicht viel anders ist es im Deutschen. "Haupt" (doch, wohl ein Lehnwort aus lat. caput, trotz seiner regelwidrigen Bildung) wird fast nur noch von geschmacklosen Reimern für "Kopf" gebraucht; "Kopf" ist wieder eine neuere Metapher, wohl nach der Ähnlichkeit des Schädels mit einem Becher (lat. cuppa). Sollte "Kopf" allmählich in neuer Metapher sich auf die Bedeutung "Verstand" einschränken, so könnte vielleicht (wie Topf und Becher) eines der jetzt schon volkstümlichen oder nur gaunersprachlichen Worte wie Kürbis, Melone usw. zu der Ehre kommen, den edlen Körperteil zu bezeichnen. Im Schwedischen heißt Kopf panna, Pfanne.

Der Bedeutungswandel durch Erweiterung des Begriffs führt auch zu einer Erscheinung, die Linguisten und Laien schon oft aufgefallen ist, ohne dass ihr metaphorischer Charakter erkannt worden wäre. Es ist oft gesagt worden, dass die Bedeutung der Worte verblaßt, dass sie ihre scharfen Definitionen verlieren und damit ihren alten Wert — genau so wie Scheidemünzen. Wohl pflegen sie dabei zugleich ihren Begriff zu erweitern, ihr Geltungsgebiet; dadurch werden sie aber nur verwendbarer, nicht wertvoller. Beispiele sind fast überflüssig; meist bemüht ist wohl die Herkunft von gene und dem deutschen "sich genieren" von dem hebräischen Gehenna (Hölle) über Höllenqual und Marter hinweg zu Zwang und Störung, bis zu der unbedeutenden Verlegenheit, die uns das Fremdwort bedeutet. Weniger schlagende, dafür aber alltägliche Beispiele bietet die Gewohnheit gewisser Kreise, bald dies bald jenes ungeheuerliche Wort auf Banalitäten anzuwenden; Worte wie "riesig", "kolossal", "schrecklich" tauchen so plötzlich auf, werden von den lächerlichsten Dingen ausgesagt, um oft bald wieder aus diesem Jargon zu verschwinden und Neuerungen Platz zu machen. Sie verschwinden nicht immer. Unser Allerwelts-"sehr" ist ebenso entstanden. Es ist aus einem Worte entstanden, welches "schmerzlich, heftig, gewaltig" bedeutete, und ist mit dem englischen sore zu vergleichen. Mundartlich wird genau ebenso "arg" (ursprünglich: schlecht, minderwertig) im Sinne von "sehr" gebraucht.