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Metaphern werden und vergehen

Diese Beobachtung führt zu einem allgemeineren Gesichtspunkt. Man kann wohl sagen, dass der Bedeutungswandel der Worte noch nicht vollzogen ist, solange die metaphorische Anwendung als solche empfunden wird. Die metaphorische Anwendung ist nur das Gerüst für den neuen Bau, der erst dann für fertig gelten kann, wenn das Gerüst abgenommen und vergessen ist. Dieses Schweben unserer Erinnerung zwischen bewußter und unbewußter Anwendung von Metaphern macht einen gewaltigen Unterschied zwischen guten und schlechten Schriftstellern, zwischen Dichtern und Nichtdichtern, und man kann sagen, der ungeheure Bau der menschlichen Erinnerung, wie er sich in dem darstellt, was wir abstrakt die Sprache eines Volkes nennen, ist immer nur an einer Grenzstelle bewohnbar. Hinter uns Euine, vor uns Neubau, mit uns unser Wohnhaus; hinter uns eine tote Sprache, vor uns die Ahnung neuer Begriffe, mit uns ein Wogen und Weben von Metaphern, die im Begriffe stehen, sinnlose und darum brauchbare Worte zu werden. In vielen Sprachgebieten läßt eine erhöhte Aufmerksamkeit die Spuren alter Metaphern noch ahnen. Bei den bloßen Wortformen, bei den Ableitungssilben ist die Metapher nicht mehr zu beleben, höchstens noch zu beweisen. In Worten wie lateinisch: amabo (etwa: ama-fuo), gotisch: habaida (haben tat ich), französisch: dirai (dire-ai) ist die Zusammensetzung zweier Worte noch historisch zu verfolgen; aber der Weg, auf welchem diese sicherlich einst hahnebüchenen Begriffe des "Geschaffenwerdens", des "Tuns", des "Habens" in irgend einer kecken Hyperbel an die Zeitwörter herantraten, der Weg, auf welchem diese Worte sich mit der Vorstellung eines Zeitbegriffes verbanden, ihre Anschaulichkeit verloren, den hyperbolischen Zug verloren, ihre gegenständliche Bedeutung verloren, der Weg, auf welchem dann das zu einem bloßen Hilfsmittel gewordene Wort analogisch nachgeahmt wurde, bis es als grammatische Formsilbe endete und verendete, dieser Weg ist nicht mehr auffindbar; nur prophezeien läßt sich allen diesen einst blühenden Worten, die einen solchen Bedeutungswandel durchgemacht haben, dass sie in Zukunft aus der Sprache verschwinden werden, wie die lateinischen Bildungssilben aus dem Französischen, die germanischen aus dem Englischen bis auf einige Reste verschwunden sind; dann werden die Sprachen neue Formen brauchen, und aufs neue werden einst blühende Worte zu solchem Dienst verfaulen. Es ist mit den Worten, wie mit den Geschlechtern der Menschen: da und dort sterben Familien aus, doch wird das Menschengeschlecht immer größer; denn überall drängen neue Geschlechter und neue Individuen hervor, und was eben von der Vernichtung kräftiger Wörter durch ihren Gebrauch als Formsilben gesagt worden ist, das gilt auch von dem anderen Formendienst der Worte.

Nicht ganz so vollständig wie im Englischen und Französischen, aber doch ziemlich stark ist im Deutschen die alte Deklination verloren gegangen. An Stelle der alten Kasusformen mußten neue Präpositionen treten, und farbensatte Worte mußten sich dazu hergeben. Auch hier wogt und webt in der Sprache ein Durcheinander von bewußten und unbewußten Verwendungen solcher Worte. Bei "dank" oder "kraft" (dank diesem Gesetze, kraft dieses Gesetzes) ist die bildliche Anwendung noch im Bewußtsein; bei "mit", bei "durch" ist das Bewußtsein längst verloren gegangen. Kein Deutscher empfindet es mehr, dass das Werkzeug, "durch" welches, "mit" welchem eine Handlung vollzogen wird, mitten zwischen dem Täter und der Tat steht, dass die Tat durch das Werkzeug hindurchgeht, dass das Werkzeug in der Mitte steht. Der Franzose, welcher puisque in dem Sinne von "weil" gebraucht, hat schwerlich eine Ahnung davon, dass er damit eine Metapher nachspricht, welche vielleicht die schwierigste Frage aller Philosophie zu beantworten sucht, dass er die Folge in der Zeit für eine ursächliche Folge setzt, dass in puisque (lateinisch postquam) die zeitliche Konjunktion "nachdem'' zu der ursächlichen "weil" geworden ist. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass der Wiener das Lächeln des Norddeutschen erregt, wenn er, wie der Franzose, "nachdem" im Sinne von "weil" gebraucht. Vielleicht fällt uns dabei auch ein, dass unser "weil" selbst nicht anders entstanden ist, dass es eine alte Umformung von "Weile" ist, welches gar nichts anderes sagen will, als "Zeit", vielleicht auch "Ruhe".

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