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"Witz"

Ich erinnere dabei an den Bedeutungswandel des Wortes "Witz". Witz kommt von Wissen her und bedeutet im Mittelhochdeutschen noch ausschließlich so viel wie Verstand; in Mutterwitz, Aberwitz, Wahnwitz liegt noch diese Bedeutung zugrunde. Luther versteht unter Witz noch durchaus Verstand; auch bei Lessing und Goethe findet sich das Wort noch in diesem Sinne. Doch nahm es im 18. Jahrhundert allmählich die Bedeutung des französischen "esprit" an und besagt weiter in der gegenwärtigen Sprache entweder eine gewisse humoristische Geistesrichtung oder ihre einzelnen Äußerungen. Definiert wird dieser Witz gewöhnlich als das Vermögen, Ähnlichkeiten, besonders entfernte, leicht und schnell aufzufassen und sie dann auf eine belustigende Art darzustellen. Beim ungesuchten guten Witz liegt aber der Humor gar nicht in der Darstellung, sondern eben nur in dem Hinweis auf die entfernte Ähnlichkeit. Da nun aber der Verstand, wie wir gesehen haben, selbst beim Wahrnehmen nichts anderes tut, als Ähnlichkeiten entdecken, so ist der Bedeutungswandel des Wortes Witz wieder einmal eine metaphorische Anwendung des alten Wortes, diesmal die Anwendung auf einen Spezialfall, auf den der entferntem Ähnlichkeit. Im Englischen liegt die Sache noch klarer, weil das entsprechende Wort "wit" den Sinn unseres Witz angenommen hat, ohne den älteren Sinn Verstand oder Scharfsinn aufzugeben. So oder so ist der Witz der Vater alles metaphorischen Bedeutungswandels; wir müssen nur einsehen, dass der unbewußt vergleichende Witz, der die ersten Begriffe schuf, und der bewußt vergleichende Witz, der uns belustigt, eine und dieselbe Geistestätigkeit ist, je nachdem sie auf nähere oder entferntere Ähnlichkeiten angewandt wird. Es liegt in der Natur der menschlichen Entwicklung, dass das Vergleichen immer raffinierter geworden ist, dass wir immer witziger geworden sind; auch die Spindel in einer heutigen Spinnfabrik ist raffinierter, witziger als das Werkzeug in der Hand einer Spinnerin.

Die Entstehung der einfachsten Begriffe durch metaphorisches Vergleichen läßt sich natürlich nur als psychologische Hypothese aufstellen; wir besitzen keine Dokumente aus einer Urzeit. Ja, der elementare Zwang des Vergleichens bei der Begriffsbildung ist unserem Bewußtsein so sehr entschwunden, dass die besten Bearbeiter des Metaphorischen, von Vico bis herunter auf Biese und Bruchmann, vor dieser Frage immer ahnungslos Halt gemacht und den psychologischen Vorgang fast immer nur an seiner auffallendsten Form beobachtet haben, an der rhetorischen Figur der Personifikation. Ihnen allen ist nur die mythologische Entstehung der abstrakten, ich möchte sagen der neueren Begriffe aufgegangen; die mythologische Entstehung der einfachsten und konkretesten Begriffe, die mythologische Entstehung des Weltbildes, wie es in der Sprache vorliegt, ist ihnen trotz einzelner Annäherungen nicht deutlich geworden.