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Psychologie der Vergleichung

Alle diese Untersuchungen ließen sich sehr hübsch in eine Psychologie der Vergleichung ordnend zusammenfassen. Wir haben hoffentlich gesehen, dass es eine und dieselbe Geistestätigkeit ist, der wir personifizierend den Witz zum Vorsitzenden geben mögen, die Geistestätigkeit, welche durch Vorgleichung der Sinneseindrücke die konkretesten und dann die abstraktem Begriffe bildet, welche weiter zu Gestalten des Glaubens, zu Symbolen und endlich zu metaphorischen Vorstellungen des Wissens führt. Nähe oder Entfernung der Ähnlichkeiten, bewußte oder unbewußte Vergleichung, Beachtung oder Nichtbeachtung der Unterschiede spielen dabei in mannigfachen Kombinationen die entscheidende Rolle. Ich möchte nicht alle möglichen Kombinationen nacheinander aufzählen; es wäre das eine logische, eine mechanische Arbeit. Um den Gedanken klar zu machen, will ich nur die beiden äußersten Glieder dieser Psychologie der Vergleichung betrachten.

Auf der ersten Stufe entsteht durch unbewußte und nächste Vergleichung und Nichtbeachtung der Unterschiede der konkreteste Begriff, z. B. der Begriff eines besonderen Baumblatts. Es ist kaum zu bezweifeln, dass auch das Tier diesen Begriff des ihn besonders interessierenden Blattes ungefähr besitzt. Für uns ist das Blatt einer bestimmten Baumart fast kein Individuum mehr. Die Vergleichung der so überaus ähnlichen Individuen ist beinahe schon Verwechslung. Die Ähnlichkeit ist so nahe wie möglich, auf die Unterschiede werden wir höchstens einmal durch ein augenblickliches Interesse aufmerksam gemacht, und so vollzieht sich die Vergleichung, die zu dem Begriffe Eichenblatt oder Kokospalmenblatt führt, unbewußt. Freilich sind Unbewußtheit, Nähe und Aufmerksamkeit relative Begriffe. Ein wenig mehr Aufmerksamkeit, und es kann der Begriff Eichenblatt schon zum Gattungsbegriff werden, wie dann später der weitere Begriff Blatt.

Auf der letzten Stufe der psychologischen Vergleichung entstehen dann die höchsten Wissensbegriffe, indem der Witz mit Anstrengung seines Bewußtseins, mit klarer Aufmerksamkeit auf die Unterschiede und mit Heranziehung der äußersten, kaum noch verständlichen Ähnlichkeiten seine Tätigkeit übt. Alle Wissenschaften operieren mit solchen scheinbar begreiflichen Wissensbegriffen, die aber im Grunde ebenso metaphorische Vorstellungen sind wie Religionsbegriffe, Symbole und poetische Bilder. So ist z. B. die Menschheit langsam dazu fortgeschritten, den weitesten Artbegriff Blatt als Teil der höheren Begriffe Pflanze, Organismus, Ding, Stoff, Substanz aufzufassen. Augenblicklich können wir nicht höher hinauf, weil das Denken oder die Sprache an dieser Stelle inne hält. Doch scheint es mir richtig, darauf hinzuweisen, wie leicht solche oberste Begriffe des Wissens (die ja an sich immer Glaubensbegriffe sind) auch für unser Sprachgefühl zu Symbolen oder Religionsvorstellungen werden können. Es braucht nur nach aller vorausgegangenen Anstrengung des Bewußtseins das Bewußtsein der getanen Arbeit zu verschwinden, und wir glauben bei dem Begriff Substanz etwas zu wissen. Für Spinoza war Substanz ein solcher Wissensbegriff. Schärfen wir die Aufmerksamkeit noch über den notwendigen Grad hinaus, so wird der Begriff zum Symbol; so erscheinen mir wenigstens die vermeintlich streng naturwissenschaftlichen Vorstellungen, nach welchen sich z. B. die neuere Atomistik die Substanz, das Atom, in Kugelform denken muß, genau so wie der eben erwähnte Xenophanes sich die Allsubstanz seines Pantheismus als Kugel dachte. Und wieder, wenn der Unterschied der unzähligen verglichenen Erscheinungen übersehen wird, verwandelt sich die Substanz in den persönlichen Schöpfer, in einen Religionsbegriff. Die Vermischung von höchsten Wissensbegriffen, Symbolen und Göttern ist oft unauflösbar. Jedermann wird mir zugeben, dass wir beim Lesen griechischer Dichter oft nicht unterscheiden können, ob Vorstellungen wie Zeit, Tod begrifflich, symbolisch oder mythologisch gemeint seien. Mir will es aber scheinen, als schwebten auch unsere Worte Zeit. Tod nebelhaft zwischen Wissen, Symbol und Gottheit dahin.

Ist es nun richtig, dass eine und dieselbe psychologische Tätigkeit, die Vergleichung nämlich, sowohl die konkretesten wie die abstraktesten Vorstellungen in uns erzeugt, dass also die allgemeinste Form der Metapher uns in Gestalt unseres Sprachschatzes unsre Wirklichkeitswelt erst schenkt, so ist zwischen dem Aussprechen eines Wortes wie Eichenblatt und der Aufstellung eines umfassenden philosophischen Systems doch nur ein Gradunterschied. Der größte Philosoph hat nur mit gespannterer Aufmerksamkeit, mit hellerem Bewußtsein die entfernteren Ähnlichkeiten verglichen. Ist auch der konkreteste Begriff metaphorisch entstanden, so muß doch wohl jedes philosophische Werk im einzelnen wie im ganzen ebenfalls und in äußerster Potenz metaphorisch sein. Wenn Biese in seiner "Philosophie des Metaphorischen" die Geschichte der Philosophie durchnimmt und bei den bekanntesten Schlagworten der einzelnen Denker auf das Bildliche in ihnen hinweist, so trennt ihn nur noch ein letzter Schritt von der bescheidenen Wahrheit. Gerne (vgl. S. 218) geht er von der metaphysischen Metapher aus, dass unsere Doppelnatur (?) unaufhörlich Vergötterung des Geistigen und Vergeistigung des Körperlichen verlange. So sieht er in dem Metaphorischen immer nur Personifikation und ihr Gegenteil, von dem ich mir übrigens keine Vorstellung machen kann. So sieht er schließlich im Metaphorischen etwas Ähnliches wie Hartmann in seinem Unbewußten und spricht es noch nicht aus, dass das Metaphorische einzig und allein in der Sprache liegt, dass diese Tatsache nur ein anderer Ausdruck für unser Nichtwissen ist und dass durch dieses Metaphorische der Sprache in unserem Denken der Schein einer Anschaulichkeit entsteht, den es nie und nimmer besitzt.