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Verständnis der ersten Worte

Im ersten Viertel des zweiten Jahres hat Preyers Versuchskind fast gar keine Fortschritte im Sprechenlernen, bedeutende Fortschritte im Verstehenlernen gemacht. Es bringt wenigstens die Namen für menschliche Körperteile mit irgend welchen Vorstellungen in Verbindung, vielleicht nur mit Raumvorstellungen. Es hat aber seiner persönlichen Ursprache ein neues Wort hinzugefügt, wenn Preyer richtig beobachtet hat und "atta" nicht vielmehr "adieu" ist und damit das erste Wort der Muttersprache. Preyer verwundert sich darüber, dass atta jedes "fort" bedeutet, auch z. B. das Auslöschen einer Flamme. Das Kind war aber dabei logischer als sein Professor; denn die Flamme ist dem Kinde mit Recht etwas Körperliches; wenn sie auslischt, so ist das eben nur viel schneller "atta", als wenn ein Mensch stirbt.

Wie sehr wir uns aber vor der Annahme hüten müssen, dass das Kind die angeblich verstandenen Worte im Sinne der Erwachsenen verstehe, kann ein kleines Beispiel zeigen. Das Kind ist jetzt so weit, nicht nur "Ohr" zu zeigen, sondern auch auf den Befehl "das andere Ohr" das andere Ohr zu zeigen. Sagt man ihm aber "das andere Auge", so zeigt es abermals das andere Ohr. Es hat also eigentlich nur die Tendenz, den Klang "andere" zu verstehen, es versteht ihn aber falsch; er ist ihm wahrscheinlich ein Eigenname für ein bestimmtes Ohr. Wie überhaupt das Kind in diesem Alter nur mit Eigennamen operieren mag, die sich ihm bei wachsender Intelligenz zu Familiennamen gestalten. Milch, Mama und Amme gehören ihm zu der Familie mimi.

Gegen Ende des zweiten Lebensjahres ist der Gegensatz zwischen Verstehen und Sprechen am größten geworden. Das Kind ist bereits im stande, mehrgliedrige Sätze der Kinderstubensprache zu behalten und zu befolgen. Wenn der Vater sagt "Nimm den Hut und lege ihn auf den Stuhl", so tut das Kind so. Selbstverständlich geht ihm dabei die komplizierte Grammatik des Satzes nicht auf. Es faßt gewiß nichts anderes als etwa "Hutt — tuhl"; es wird auch genügen, diese beiden Silben auszusprechen. Das Kind ist aber zu dieser Kombination noch nicht fähig. Es schlägt die Händchen auf die Mahnung "bitte" ganz geläufig zusammen, es kann auch schon die beiden Silben bi und te getrennt und sinnlos gut nachsprechen, es kann aber das gehörte "bitte" noch nicht sprachlich anwenden. Das macht ihm aber nicht viel. Seine Umgebung ist so aufmerksam und zuvorkommend, dass das Kind sich immer noch mit dem Verstehen begnügen und in Mußestunden lallen kann. Erst wenn z. B. in einer Krankheit der Nutzen des Sprechenkönnens klar wird, zeigt sich die ganze Hilflosigkeit des Menschenkindes.

Für die letzten Monate des zweiten Lebensjahres glaubt Preyer das erste logische Urteil feststellen zu können. Das Kind hat "heiß" gesagt und natürlich damit gemeint "die Milch ist mir zu heiß". Wir wollen uns darauf hier nicht einlassen. Wir werden mühsam erkennen, dass die Logik und ihre Grammatik nur sprachlicher Art sind, nur Hilfskonstruktionen des Denkens, dass nicht nur Urteile, sondern auch Schlüsse schon in den Begriffen oder Worten stecken. Wir werden uns also hüten, solche Kinderworte grammatisch auszudeuten; wir werden vielmehr zu unserer Befriedigung vermuten, dass auch in der Ursprache oder im Urdenken der Menschheit noch ein einzelnes Wort war, was später breit in Sätzen auseinanderging.

Wie dieser angeblich erste Satz Aufschluß geben hilft über die innere Struktur der Ursprache, so ist ein anderes Wort vor Ende des zweiten Lebensjahres sehr interessant für den Klang der Ursprache, ich meine für die Art, wie die menschliche Sprache klingt, wenn man sie nicht versteht, fast möchte ich sagen: wie die menschliche Sprache für Tiere klingt. Es ist ein bekannter Scherz, ohne ein einziges ihrer Worte zu kennen, den Klang verschiedener Sprachen nachzuahmen. Es unterscheiden sich da auch für das ungeübteste Ohr z. B. Französisch, Englisch und Ungarisch. Es werden dann aber doch nur besonders häufige Laute aneinander gereiht. Wie tönt aber das, was die menschliche Sprache von den Tiersprachen unterscheidet? Wir kennen alle das nachahmende Wort, mit welchem sich ein Kind über die Sprache der Erwachsenen lustig macht, wenn es entweder nicht mehr nachsprechen oder Geschwätz nachahmen will. Preyer hat diese Nachahmung hübsch mit den Buchstaben raterateratera fixiert. Das nebenbei.