Zum Hauptinhalt springen

Begriffe der Tiere

Gerade die Gabe der wirklichen unmetaphorischen Schallnachahmung besitzen manche Tiere: der Papagei, die Spottdrossel. Und gerade diese "sprechenden" Tiere beweisen nichts dafür, dass Tiere Sprache haben. Die Sprache besteht nicht in Schallnachahmung.

Um den Tieren ihre offenkundige Sprache abzusprechen, hat man vielmehr so weit gehen müssen, ihnen auch die Artbegriffe zu bestreiten. Der Gedanke dieser Theorie ist der: Anschauungen von Allgemeinem, von Arten gibt es nicht. Folglich kennen Tiere, die nur Anschauungen und keine Begriffe haben, nur Einzelnes, keine Arten.

Versteckt liegt in diesem Gedankengange das Eingeständnis, dass Begriffe Worte sind, dass die Tiere nur wegen ihres Sprachmangels keine Begriffe haben können. Das nebenbei.

Nun steht aber dieser Konstruktion die Tatsache gegenüber, dass nicht nur einige besonders kluge (nach unserem Ermessen kluge) Tiere wohl Arten unterscheiden. Die Hunde unterscheiden oft deutlich zwischen Kindern und Erwachsenen, zwischen Bourgeois und armen Teufeln, zwischen Weißen und Schwarzen; dann aber, je nach ihrer Abrichtung, kennen sie Hasen, Hirsche, Rebhühner, Enten usw. Unzählige andere Tiere haben ebenso den Artbegriff der nützlichen und schädlichen Nahrungsmittel, ferner den ihrer eigenen Art, endlich den ihrer Feinde.

Steinthal, der sich recht gegen die Tierseele erhitzt, fragt (Abr. d. Spr. I. 326) ganz witzig, ob denn der Hund, wenn er Begriffe der Tiere 351 auch die Hündin unterscheide, in seinem Bewußtsein ein männliches und ein weibliches Geschlecht trenne? Mit diesen Worten gewiß nicht, und auch vielleicht nicht so gründlich und zeitlos wie ein Professor. Aber der Einwurf, der Hund unterscheide auch das Weib vom Manne, die Kuh vom Stier, fasse aber Hündin, Kuh und Weib nicht unter dem Begriff des Geschlechtes zusammen, dieser Einwurf ist mehr geistreich als richtig. Denn Unwissenheit ist noch nicht Sprachlosigkeit. Aristoteles hat gewiß den Begriff des weiblichen Geschlechtes gehabt, ihn aber auf sehr viele Tierarten noch nicht anzuwenden gewußt. Man kann den Begriff auch von einem Falle her haben. Und dann ist es noch nicht erwiesen, dass der Hund das weibliche Geschlecht beim Weibe nicht merkt; es spricht doch manches für diese Annahme. Und ob er den Begriff sich mit Hilfe eines Sprachschalles gemerkt hat, oder mit Hilfe eines Biechzeichens, das ist doch wohl gleichgültig.

Steinthal fragt dann ganz töricht: "Weiß der Hund, indem er sich begattet, von Zeugung und Geburt? Von Erhaltung seiner Art?" — Ja, was "weiß" denn der Bauernbursche, wenn er zum erstenmal hinter dem Zaun der Natur gehorcht, von Geburt und von Erhaltung seiner Art?

Überdies ist aber "weibliches Geschlecht" schon ein komplizierter Begriff, zu dem die Menschheit gewiß recht spät gelangt ist. Es ist also hart, dem Hund gerade solche Doktorfragen vorzulegen. Und dass der Hund etwa Stein und Pflanze nicht der Art nach unterscheide, das glaube ich einfach nicht. Man zeige mir erst einmal einen Hund, der jemals Stein und Pflanze verwechselt hat, wie das selbst bei Kandidaten der Medizin vorkommen kann.

Es ist wohl wahr, dass der Hund kein so reiches und kein so wohl gegliedertes Gedächtnis besitzt, wie wir. Er kann die römischen Könige nicht nacheinander aufsagen. Aber selbst seine Verleumder leugnen nicht, dass er Gedächtnis besitzt. Und im Gedächtnis liegt nicht nur die Möglichkeit der Sprache, nein, Gedächtnis ist Sprache.

Nun bildet der Hund allerdings keine Sätze oder Urteile nach der Logik des Aristoteles. Es fehle ihm das Subjekt; "die Kategorie Ding sei noch nicht wirksam geworden," sagt Steinthal. Ob der Hund in seiner Sprache nicht dennoch mustergültige Urteile bildet? Ob er nicht sagt (in seiner Sprache): Brot ähx! Knochen gut! Peitsche schmerzt! —? Ich glaube doch, in der Peitsche dürfte die Kategorie Ding schon wirksam geworden sein.

Und hat Steinthal niemals den zusammengesetzten Satz gehört, den der Hund sogar mitzuteilen versteht? "Es ist kalt; ich bitte darum, mir die Tür zu öffnen!" Der Hund heult und kratzt freilich nur. Das ist aber Sprache, und wenn die Logik sie nicht verdauen kann, so mag das schlimm sein, doch nur für die Logik. Steinthal meint (nach Herbart), der Hund halte sein Kratzen für die Klinke, für das Öffnungsmittel. Da hat er ja recht, der Hund nämlich. Ich rufe "Kutscher" und halte den Ruf für das Mittel, die Droschke zum Stehen zu bringen. Versteht der Hund die Zwischenglieder nicht, so mag er ein dummer Hund sein, aber noch lange kein stummer Hund.

Ist Sprache dasselbe wie Denken, und ist Denken nichts als tätiges Gedächtnis, so ist nicht der kleinste Grund vorhanden, am Denken der Tiere zu zweifeln. Jedermann hat schon beobachtet, dass Tiere träumen, das heißt doch wohl, dass sie sich vergangener Wahrnehmungen erinnern. Und den Mangel des Bewußtseins wird man nicht zum Vorwand nehmen wollen, um den Traum gedankenlos zu nennen.

Richtig ist nur gewiß, dass die Sprache der Tiere für die meisten Menschen unverständlich ist, so unverständlich wie für den Slawen die deutsche Sprache, die Sprache der Stummen, der nemci. Man kann darum die Sprache der Tiere ganz gut einen Jargon nennen, ihren Argot. Und so hat sich schon Charles von Orléans (im 15. Jahrhundert) ausgedrückt: il n'y a ne beste ne oyseau qu'en son jargon ne chante et crie.