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Wörterbücher

Unsere Wörterbücher der lebenden Sprachen werden mit Recht um ihres Reichtums und ihrer Übersichtlichkeit willen gerühmt; die beiden Teile des französisch-deutschen und deutsch-französischen Wörterbuchs von Sachs-Vilatte z. B. lassen uns nicht so leicht im Stiche, wenn wir die "Bedeutung" eines eben gelesenen französischen Wortes suchen oder für einen deutschen Ausdruck das entsprechende französische Wort finden wollen. Man braucht aber nur die beiden Ausdrücke, die in einem Elementarwörterbuch einander decken, wie faire — tun, main — Hand, bon — gut einmal in beiden Teilen eines so großen Werkes zu vergleichen, um sofort zu sehen, dass selbst zwischen diesen zwei Sprachen, die etymologisch nahe "verwandt" sind und überdies von ungefähr gleich kultivierten, gleichzeitigen Nachbarvölkern gesprochen werden, eine deckende Übersetzung nicht immer möglich ist. Überall erregt dasjenige Wort, welches in der andern durch eine andre Gewohnheit ersetzt wird, besondre Nebenvorstellungen. Fast jedes Wort wäre ein Beispiel. In hundert Fällen können wir main mit Hand wiedergeben; nicht aber die Wortgruppe à la main. Sagen wir nun für nouvelles à la main ziemlich richtig "Tagesneuigkeiten", so haben wir die Nebenvorstellung à la main durch eine davon ganz verschiedene doch wieder ungenau wiedergegeben.

Eigentlich gehört diese Bemerkung in die Grammatik; denn ich sehe nicht ein, warum die Wortbildung mains, die Mehrzahl, oder de la main, oder der Dativ à la main unselbständiger heißen soll als das adverbiale à la main; und ich sehe nicht ein, warum "Tages" in "Tagesneuigkeit" nicht ebenso grammatikalisch festgelegt wird als der einfache Genitiv "des Tages". Im Grunde sind ja die Bedeutungen der Casus um nichts klarer als die Wortbildungskategorien. Wenn solche Kategorien auch aufgestellt worden sind, es ist eben auch nur ein Spiel mit Worten.

Wir sagen, dass in unserer Sprache die Silbe "er" die handelnde Person bedeute; der Reiter reitet, der Schneider schneidet usw. Aber diese Weisheit ist eben eine grammatische und ist schon darum nicht sehr tief; es kommen die Ausnahmen. Immer bietet die Regel nur einen Aufbewahrungskasten, nicht eine Hilfe. Ohne Kenntnis der Sprache weiß ja doch niemand, warum es das eine Mal "Reiter" heißt, das andre Mal "Ritter", einmal "Schneider", dann wieder "Schnitter", warum "Bauer" den Landmann bezeichnet und nicht den Maurer oder Baumeister; Schuster (von lat. "sutor", unter Einwirkung des etymologisch unerklärten "Schuh") und Gärtner klingen für unser Sprachgefühl gleichgebildet und sind doch ganz anders entstanden.

In fremden Sprachen liegen diese Dinge, sobald nur die Etymologie klar ist, viel deutlicher zutage. Im Sanskrit bezeichnet "in" den Besitzer eines Gegenstandes: açvin einen Pferdebesitzer, hastin einen Handbesitzer; diese Kenntnis hilft uns aber nichts, wenn wir nicht durch direkte Mitteilung erfahren haben, dass açvin "Reiter" heißt, hastin "Elefant". "Handbesitzer" für das Rüsseltier hätte an sich nur den Wert eines Rebus.

Wie sehr, wie völlig der Bedeutungswandel auf der Metapher beruht, das wird noch klarer, wenn wir einsehen, dass es eigentlich im lebendigen Gebrauch der Sprache die allgemeine Bedeutung des Worts, die Bedeutung, welche zuerst im Wörterbuch steht, gar nicht gibt, sondern immer nur die individuelle Bedeutung, welche der Augenblick ergibt, das heißt, welche die Anschauung erkennen läßt. "Band" bedeutet jedesmal etwas anderes, wenn das Wort von einem Schriftsteller gegen seinen Verleger, von einem Faßkäufer in der Böttcherei, von einem Mädchen im Putzgeschäft, von einem Prediger bei der Eheschließung gebraucht wird. Die allgemeine Bedeutung, die Abstraktion vom Verbum "binden", existiert einzig und allein in der Theorie. Und wenn wir, was wohl gewöhnlich geschieht, den Vorstellungsinhalt des Wortes Band beim Schriftsteller, beim Böttcher und beim Prediger als Metaphern des Bandes im Putzgeschäft auffassen, so liegt darin eine Willkürlichkeit. Das tiefere Wesen der Metapher, der bildlichen Anwendung von Worten, scheint mir vielmehr gerade darin zu liegen, dass das Bild der umgebenden Wirklichkeit, dass die Anschauung oder die Erinnerung dem Wortklang erst seine Bedeutung gibt, dass also ohne Ausnahme jedes Wort in seinem individuellen Gebrauch metaphorisch ist.