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Metapher und Anpassung

Die Ähnlichkeit zwischen der Entstehung neuer Worte und neuer Organismen ist zu groß, als dass es nötig wäre, die Vergleichung weiter durchzuführen. Eher wäre ich geneigt, mir selbst neue Schwierigkeiten zu bereiten und darauf hinzuweisen, dass denn doch für das naive Bewußtsein ein Unterschied besteht zwischen dem handgreiflichen, durch eine körperliche Haut von der Außenwelt abgegrenzten tierischen oder pflanzlichen Einzelwesen einerseits und den flüchtigen, mit den Schallwellen der Luft entstehenden und vergehenden Worten anderseits. Uns aber ist es geläufig, auch die einzelnen Tiere und Pflanzen als flüchtige, mit den unsichtbaren Gruppierungen der "Atome" entstehende und vergehende Welt der sogenannten Materie aufzufassen. Und ich fürchte, mich in Mystik zu verlieren oder doch wenigstens den Eindruck der Mystik hervorzurufen, wenn ich die treibenden Kräfte der Sprachbildung, Metapher und Analogie, mit den treibenden Kräften der Natur zusammenstelle, mit Anpassung und Vererbung. Es ist aber vielleicht mehr als Mystik, es ist vielleicht in den unnahbaren kleinsten Veränderungen identische Wirklichkeit. Es ist vielleicht ganz unbildlich und tatsächlich die Trägheit oder die Vererbung, welche die alten Formen in den alten Spuren analogisch wiederholt, es ist die Arbeit neuer Einflüsse, neuer Beobachtungen, welche als Anpassung metaphorisch neue Gebilde erzeugt. Ja selbst die Illusionen der Liebe sind Äußerungen derselben Phantasietätigkeit, ohne welche die Metapher nicht möglich ist.

Noch schwieriger wird der Blick in die Sprachbildung, wenn wir nicht nur die Schöpfung neuer Worte, sondern auch die neuer grammatischer Formen, also die Analogiebildungen der sogenannten Grammatik, als Naturgebilde empfinden sollen. Um das genau zu begreifen, müssen wir uns wieder erinnern, dass auch der einzelne Tierorganismus nicht so einfach ist, wie er dem naiven Bewußtsein erscheint. Es fällt uns nicht schwer, uns ein kompliziertes Tier, in welchem die verschiedenen Zellen sich mit differenzierten Funktionen zu verschiedenen Organen unter einer formenden Einheit vereinigen, als einen Tierstaat vorzustellen. Es gibt ja glücklicherweise in der Natur Tierkolonien, von welchen man nicht recht sagen kann, ob sie Tierstaaten oder Einzelorganismen sind. Uns ist es geläufig, das allerdings rätselhafte Gedächtnis als das einigende Band sowohl der Tierstaaten (natürlich auch der menschlichen Vereinigungen) als der Tierkolonien und der Einzelorganismen aufzufassen. Dieses rätselhafte Gedächtnis ist natürlich auch bis auf weiteres die einzige Erklärung für alle Analogiebildungen in Natur und Sprache, ist aber auch in jedem Augenblicke seiner Bereicherung die vorläufige Erklärung für sprachbildende Metaphern und fortwirkende Anpassungen. Dieses Gedächtnis führt uns aber schließlich von der analogischen Wortschöpfung zu der analogischen Bildung der neuen Sprachformen, mit denen die Grammatik sich beschäftigt.