Tragisch

Tragisch. (Schauspiel) Das Wort bedeutet etwas, dass der Tragödie eigen ist oder sich für dieselbe gut schickt. In diesem Sinne sagt man, eine Handlung, eine Begebenheit, eine Leidenschaft sei tragisch. In etwas eingeschränkterm Sinne werden Zufälle, Begebenheiten oder Handlungen, wodurch beträchtliche Unglücksfälle veranlasst oder hervorgebracht werden, tragisch genannt; weil man gewohnt ist, dergleichen in dem Trauerspiel zu sehen. Wir nehmen hier das Wort in dem ersteren, allgemeinen Sinne, von dem was sich zur Tragödie schickt oder ihr eigen ist.

Der Hauptcharakter des Tragischen besteht in der innern Größe oder Wichtigkeit der vorgestellten Gegenstände. Die Personen müssen entweder durch ihren innern Charakter oder durch ihren Rang, ihre Würde und ihren Einfluss auf die Gesellschaft darin sie leben, wichtig sein: die Handlung muss nicht auf ein geringes oder vorübergehendes Interesse gegründet sein, sondern die Wohlfahrt oder den gänzlichen Untergang großer Personen oder gar ganzer Familien oder Gesellschaften, entscheiden. Die Alten haben, wie bekannt ist, die Hauptpersonen niemals aus dem Privatstand genommen; und noch gegenwärtig kommt man durchgehends darin überein, dass die tragische Bühne Personen von hohem, öffentlichem Charakter erfodere. Man hat deswegen dem pathetischen Drama, dessen Hauptpersonen aus dem Privatstand genommen sind, den besonderen Namen des bürgerlichen Trauerspiels gegeben, dem noch verschiedene Kunstrichter, wir können nicht entscheiden, ob mit Recht oder Unrecht, den Rang der Tragödie streitig machen. Dass auch Privatpersonen durch die Größe des Gemütscharakters in bloßen Privatangelegenheiten, in einem ganz merkwürdigen Licht erscheinen oder von ausserordentlichen Unglücksfällen betroffen werden können, wird Niemand läugnen. Aber wenn ein großer Charakter sich gehörig entwickeln soll, so muss doch das Interesse, wodurch er in Wirksamkeit gesetzt wird, von Wichtigkeit sein; und Begebenheiten die recht tragisch sein sollen, müssen entweder viel Menschen zugleich oder Personen von hohem Range betreffen.

 Soll die tragische Bühne zu etwas wichtigerm als zum bloßen Zeitvertreib dienen, so scheint wenigstens so viel gewiss zu sein, dass der Stoff dazu vorzüglich von öffentlichen und Nationalangelegenheiten zu nehmen sei. Es ist ohne Zweifel eine für jeden Staat wichtige Sache, dass der Bürger desselben jede Privatangelegenheit in Vergleichung des allgemeinen Interesse für etwas geringes halte: ohne diesen Geist kann keine Nation groß, vielleicht nicht einmal stark und in ihrer Verfassung fest sein. Durch öftere Vorstellung sogenannter bürgerlicher Trauerspiele aber, würden die Zuschauer sich gewöhnen, an Privatangelegenheiten eben so starken und warmen Anteil zu nehmen als an öffentlichen.

 Wenn wir dem tragischen Schauspiel sein eigenes Ziehl zu setzen hätten, so würden wir es so setzen, dass die Gemüter der Zuschauer dadurch gestärkt, zu großen und männlichen Gesinnungen geführt, und für die wichtigsten öffentlichen Angelegenheiten zu außerordentlicher Anstrengung der Kräfte gereizt würden. Wir würden vorschlagen die Tragödie zu einem völlig männlichen großen Schauspiel zu machen und die Leidenschaften der zärtlichern Art auf die komische Bühne einschränken. Wir würden die Liebe zur Freiheit, die Begierde nach edlem Ruhme, den Eifer für das allgemeine Beste, Abscheu und Wiedersetzung gegen Gewalttätigkeit; Verachtung des Privatinteresse, selbst des Lebens, wenn es auf den Dienst des Staates ankommt, und andere große heroische Gesinnungen zur Grundlage der tragischen Schaubühne vorschlagen. Freilich gewinnen die Trauerspiele von zärtlicherm Inhalt fast durchgehends, besonders in Deutschland, den allgemeinsten Beifall. Denn jeder Mensch ist zärtlich trauriger Empfindungen fähig und geneigt, die Wollust eines untätigen Mitleidens zu genießen. Vielleicht kommt es eben daher, dass fast durchgehends im Trauerspiel die Tugend leidend und durch eine traurige Katastrophe besiegt vorgestellt wird. Sollte man es aber für die tragische Bühne weniger schicklich halten, dass die Tugend nach einem schweren und wichtigen Kampf den Sieg davon trüge und die ganze Handlung einen glücklichen, aber doch großen und bewunderungswürdigen Ausgang bekäme?

Es gibt Charaktere, Leidenschaften, Begebenheiten, Lagen und Unternehmungen, die man vorzüglich tragisch nennen kann; weil sie sich sehr gut zur Tragödie schicken. Die finstere Grausamkeit eines Tyrannen; die Standhaftigkeit in höchsten Unglücksfällen und überhaupt jede vorzügliche Größe der Seele, die sich bei wichtigen Gelegenheiten zeigt, sind tragische Charaktere. Zu tragischen Leidenschaften rechnen wir Hass, Zorn, Rachgierde, Eifersucht, an Personen von großer Macht oder wenn sie überhaupt sich unter großen und merkwürdigen Umständen zeigen. Die heftigste Liebe kann nur unter seltenen Umständen wahrhaftig tragisch sein [s. Liebe]. Aber väterliche oder eheliche Zärtlichkeit kann große tragische Situationen hervorbringen. Tragisch sind die Begebenheiten und Unternehmungen vorzüglich zu nennen, wobei es auf die Rettung oder den Untergang ganzer Gesellschaften, ganzer Staaten ankommt. Dergleichen Gegenstände haben die wahre tragische Größe, wodurch die Zuschauer unwiderstehlich hingerissen oder erschüttert werden.

 

 

 


Vergleiche ferner:

- Tragödie (Eisler: Wörterb. d. phil. Begr.)

- Tragögie (Kirchner, Wörterb. d. phil. Grundbegr.)

- Aristoteles Kunstlehre (Vorländer, Gesch. d. Phil.)

- Die dramatische Poesie (Hegel, Vorl. ü. d. Ästhetik)

- Tragödie, Komödie und Drama (Hegel, Vorl. ü. d. Ästhetik)

 

 


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