Originalwerk

Originalwerk. (Schöne Künste) Es gibt zweierlei Arten der Kunstwerke, denen man diesen Namen gibt; denn er bedeutet entweder ein Werk, das keine Nachahmung oder eines, das keine Kopie ist. Im ersten Sinne kommt dieser Namen den Werken zu, die einen eigentümlichen, nicht erborgten innerlichen Charakter haben; im anderen Sinne bezeichnet man dadurch ein Werk, das von eines Künstlers eigenem Genie entworfen und nach seiner Art bearbeitet und nicht copirt ist, wenn es sonst gleich in dem Wesentlichen seines Charakters nichts originales hat. In der ersten Bedeutung ist z.B. Klopstocks Bardiet ein Originalwerk, ein Drama von ganz eigentümlicher Art, von des Dichters Genie ausgedacht: dergleichen Werke machen nur Originalgeister. In dem anderen Sinn ist jedes Werk, dessen Urheber bei Verfertigung seinen eigenen Gedanken, wenn sie gleich Ähnlichkeit mit fremden haben sollten, gefolgt ist und bei der Ausarbeitung eben nicht sorgfältig anderer Manier genau nachgeahmt hat, ein Original. In diesem Sinne sind alle Trauerspiele des Racine Originale; denn keines ist übersetzt und in fremdem Geschmack bearbeitet, obgleich die Handlung überhaupt oder auch einzelne Stellen, nachgeahmt sind.

Man könnte das Wort auch noch in einer dritten Bedeutung nehmen, um dadurch die Werke zu be zeichnen, die aus wahren Trieb des Kunstgenies, aus wirklicher, nicht nachgeahmter oder verstellter Empfindung entstanden sind. Nämlich, die wahren Originalkünstler arbeiten gemeiniglich aus Fülle der Empfindung; weil sie einen unwiederstehlichen Trieb fühlen, das was sie wirklich in der Phantasie haben oder was sie lebhaft empfinden, durch ein Werk der Kunst an den Tag zu legen. Hingegen geschiehet es auch, das ein Werk nicht durch die Empfindung des Künstlers, sondern durch fremde Vorstellung veranlasst wird, ein Werk des Vorsatzes, der Überlegung und nicht ein Werk der Begeisterung ist. Jene könnte man im Gegensatz dieser Originalwerke nennen.

  Man steht leicht, wieviel Vorzüge diese Originale vor den Werken, die es nicht sind, haben müssen: sie sind wahre Äußerungen des Genies; da die anderen Schilderungen verstellter nicht wirklich vorhandener Empfindungen sind. Jene lassen uns allemal die Natur, diese nur die Kunst sehen. Ein Dichter der von einem Gegenstand bis zur lyrischen Begeisterung gerührt worden und denn singt, weil er der Begierde das was er fühlt auszudrücken, nicht wiederstehen kann, dichtet eine Originalode, die ein wahrer Abdruck des Zustandes seines Gemüts ist. Ein andermal aber fordern außer der Kunst liegende Veranlassungen eine Ode; oder er selbst stellt sich vor, er sei in einem Fall, in eine Lage, darin er nicht ist, sucht Empfin dungen hervor, die dem Fall natürlich sind, die er aber nicht wirklich hat und in dieser angenommenen Stellung dichtet er. Da muss freilich ein ganz anderes Werk entstehen, das uns mehr die Kunst als die Natur sehen lässt. Ein solches Werk ist etwas betrügerisches, damit man uns, bloß um die Kunst zu zeigen, hintergehen will.

 Auch große Originalgeister machen bisweilen solche Werke; die denn freilich weit unter den wahren Originalen sind, die aus dem vollen Gefühl ausströhmen. Der schlaue Künstler sucht den Betrug zu verbergen, aber man merkt ihn doch. So fühlt man bei der Horazischen Ode auf den Baum und an der Ramlerischen auf das Geschütz, Kunst und nicht Ergießung der Natur. Es war Horazens Ernst nicht so gar sehr auf den Pflanzer des Baumes zu schimpfen, wie er sich anstellt: hier ist mehr Spaß, denn Ernst. Mit völliger Heiterkeit des Gemütes, nahm der Dichter sich vor, sich anzustellen als wenn der gehabte Schrecken ihm solche Empfindungen verursacht hätte; weil er uns zeigen wollte, dass er ein guter Odendichter sei.

 Auf die Originalwerke der ersteren Art, können die Betrachtungen und Anmerkungen des nächst vorhergehenden Artikels angewendet werden. Darum brauchen wir uns hier nicht in umständliche Betrachtung derselben einzulassen. Wir wollen nur noch anmerken, dass ein Werk von mehr als einer Seite Original sein könne. Der ganze Stoff kann entlehnt und die Behandlung desselben kann Original sein. So ist in redenden Künsten ein Werk bisweilen bloß im Ausdruck Original und der Stoff selbst hat eben nichts besonderes. Indessen, wie gering auch der Teil der Kunst, darin das Werk Original ist, sein mag; so ist ein solches Werk immer schätzbar, weil es wenigstens etwas von der Kunst erweitert.

 Wir müssen noch besonders von den Originalen der zweiten Art in den Werken der zeichnenden Künste sprechen. Die Gewinnsucht hat eine Menge Kopien unter Originale gestellt.

 Es ist also für Kenner und Liebhaber eine wichtige Frage, ob es allemal möglich ist oder ob man es wenigstens durch fleißige Beobachtung und Erfahrung dahin bringen kann, mit Gewissheit zu entscheiden, ob ein Werk ein Original ist oder nicht?

 Die Erfahrung hat diese Frage noch nicht entscheidend beantwortet, da man gewisse Zeugnisse hat, dass wirklich Kenner vom ersten Rang sind betrogen worden. Es ist vielleicht keine beträchtliche Sammlung von Gemälden oder geschnittenen Steinen, wo nicht Kopien für Originale gehalten werden. Man ist so gar über einige Werke der ersten Art ungewiss, welche von zwei Galerien, deren Besitzer sich schmeicheln das Original zu haben, es wirklich besitzt. Vasari versichert, dass Julius Romanus eine Kopie nach Ra phael für das Original gehalten habe, ob gleich er selbst an den Gewändern des wahren Originals gearbeitet hatte.

 Die Regeln, die Originale zu kennen, lassen sich nicht wohl angeben. Denn, was man von der Freiheit der Bearbeitung, die das Original zeigt und von dem furchtsamen und gesuchten in der Kopie sagt, ist weder sicher noch hinlänglich genug. Es kommt hier auf ein sehr seines Gefühl an, dessen Gründe und Regeln sich nicht beschreiben lassen. Mit einem feinen Auge und Kenntnis der Ausübung der Kunst viel Werke der berühmten Meister gesehen und sehr oft nach allen Teilen der Bearbeitung untersucht zu haben, gibt allerdings eine Fertigkeit die Originale, wo nicht allemal, doch meistenteils zu kennen.

Meister der Kunst, die jede Kleinigkeit der Behandlung aus eigener Erfahrung kennen, sind hierin die besten Richter. Aber große Herren tun wohl, um nicht betrogen zu werden, dass sie bei Werken von Wichtigkeit, allemal ein Misstrauen in die Stücke setzen, über deren eigentliche Herkunft sie nicht recht authentische Zeugnisse haben.

 Aber ist denn so sehr viel daran gelegen, ein Original zu besitzen? Und kann nicht eine Kopie, wenn sie so ist, dass auch ein gutes Auge dabei betrogen wird, eben die Dienste tun als das Original? Nachdem man eine Absicht bei Anschaffung des Gemäldes hat. Es kann Kopien geben, die mehr wert sind als halb verdorbene Originale.1 Aber da jedes Original ein einzeles Werk ist, das nicht vermehrt werden kann, so ist auch sein Preis nicht nach der Schätzung einer Kopie zu bestimmen, die so oft als man will, kann wiederholt werden. Diese hat einen bestimmten, jenes einen unbestimmten Wert und Niemand will, wenn es schon auf beträchtliche Summen ankommt, gern betrogen sein.

 In Bildergallerien, die dazu dienen sollen, die Monumente zur Geschichte der Kunst aufzubewahren, ist es höchst wichtig nichts als Originale zu haben. Die Geschicht der Kunst selbst, ist ein wichtiger Teil der Geschicht des menschlichen Genies und da muss man nicht durch falsche Nachrichten betrogen werden. Die Frage, wie weit die Griechen und Römer es in diesem oder jenem Teil der schönen oder mechanischen Künste und auch der Wissenschaften gebracht haben, kann nur durch Originalwerke des Altertums beantwortet werden. Man streitet z.B. ob sie die Wissenschaft der Perspektive beseßen, ob sie Vergrößerungsgläser gehabt, was für Instrumente sie gehabt haben, u. d. gl. Dergleichen Fragen aus Kopien oder anderen neueren, aber vorgeblich alten Werken beantwortet, verbreiten Unwahrheiten in einen wichtigen Teil der menschlichen Kenntnisse.

Zum Studieren für den Künstler, wenigstens in Ab sicht auf die Behandlung und auch auf die Zeichnung sind die Originale großer Meister unendlich wichtiger als die besten Kopien; denn die höchste Wahrheit und der größte Nachdruck in Zeichnung und Farbe hängt oft von kaum bemerkbaren Kleinigkeiten ab, davon wenigstens ein Teil in der Kopie vermisst wird.

 

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1 S. Kopie.

 


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