Luftperspektive

Luftperspektive. (Malerei) In der eigentlichen Perspektive wird unter anderen auch gelehrt, wie jeder Gegenstand durch allmähliche Entfernung vom Auge kleiner wird und wie dabei seine kleineren Teile allmählich völlig unmerkbar, folglich seine Form und Gestalt undeutlicher werden. Eine ähnliche Veränderung leiden die natürlichen Farben der körperlichen Gegenstände durch die Entfernung. Je entfernter ein Körper von uns ist, je mehr verliert seine Farb an Lebhaftigkeit; die kleineren Tinten und die Schatten werden allmählich unmerklicher und verliehren sich endlich ganz, dass der Körper einfärbig und flach wird; in großer Entfernung aber verliert sich seine natürliche Farbe ganz und alle Gegenstände, so verschieden sie sonst an Farbe sind, nehmen die allgemeine Luftfarb an. Die genaue Kenntnis dieser Sache und die Wissenschaft der Regeln, nach welchen alles, was zum Licht und Schatten und zur Färbung der Gegenstände gehört, nach Maßgabe ihrer Entfernung vom Auge, muss abgeändert werden, wird die Luftperspektive genannt. Weil man kein bestimmtes Maß hat, nach welchem man die Grade des Lichts und der Schatten oder die Lebhaftigkeit der Farben abmessen, noch ein Farbenregister nach welchem man die durch Entfernung allmählich sich abändernden Farben richtig benennen könnte; so ist es bis jetzt nicht möglich, die Luftperspektive, so wie die Perspektive der Größen, in Form einer Wissenschaft abzuhandeln. Zu vermuten ist aber, dass es mit der Zeit wohl geschehen könnte; da Hr. Lambert, der sich bereits um die gemeine Perspektive sehr verdient gemacht hat, auch einen guten Anfang gemacht, Licht und Schatten auszumessen, auch den Meierischen Versuch zum Farbenregister1 schon einigermaßen ausgeführt hat.2 Inzwischen müssen sich die Maler in Ansehung der Luftperspektive mit einigen allgemeinen Beobachtungen und etwas unbestimmten Regeln behelfen.

 Das Wichtigste davon hat der Herr von Hagedorn mit seiner gewöhnlichen Gründlichkeit in sehr wenig Worte zusammengefasst.3 Wir wollen hier die Hauptpunkte der Sache berühren, damit jeder Maler überzeugt werde, dass es nicht möglich sei, diesem Teil der Kunst ohne genaues Nachdenken Genüge zu leisten.

 Zuerst kommt also die Schwächung der Farben, durch die Entfernung des Gegenstandes in Betrachtung. Man stelle sich also vor, A B sei eine nahe an der Oberfläche der Erde gezogene gerade Linie; D C eine in der Luft der vorigen parallel laufende Linie, in einer Höhe, über welche die Dünste der Erde nicht heraufsteigen. In A stehe ein Beobachter nach der Gegend B C gekehrt.

 Nun muss man zuerst bedenken, dass nahe am Erdboden sich die meisten und gröbsten Dünste aufhalten, so dass man in einer größeren Höhe nicht nur weniger, sondern auch subtilere und die Luft weniger verdunkelnde Dünste antrift. Man stelle sich also vor, dass aus dem Punkt K eine krumme Linie KHI dergestalt gezogen sei, dass die aus jedem Punkt der Höhe A oder G oder wo man sonst will, auf A D in rechtem Winkel gezogene Linie A I oder G H die Dichtigkeit der Dünste auf derselben Höhe anzeige. Ferner sei B der äußerste Punkt des Horizonts.

 Nun stelle man sich vor, dass ein wohl erleuchteter Körper, von welcher Farbe man will, in E, ein anderer von eben der Farbe und Erleuchtung in C gesehen werde, ein dritter aber in F und man wolle wissen, wie viel jeder dieser Gegenstände von der Lebhaftigkeit seiner natürlichen Farbe verlieren werde. Weil bloß die Menge der Dünste, durch welche die Lichtstrahlen fallen, die Ursache dieser verminderten Lebhaftigkeit ist, so darf man nur für jeden Stand F, E und C diese Menge bestimmen. Man sieht aber sogleich, dass sie in jedem Stande von zwei Größen abhängt, nämlich von der Entfernung A F, A E, A C und denn von der Höhe N F, B E, B C, aber mit dem Unterschied, dass die Entfernung zur Vermehrung, die Höhe aber zur Vermindrung derselben beiträgt.

 Dieses genau und geometrisch zu bestimmen, würde eine ziemlich schwere Rechnung erfordern: ohngefähr aber erkennt man, wie die Schwächung der Farbe, insofern sie in jeder horizontalen Entfernung von der Höhe abhängt, könnte berechnet werden. Für die Höhe E oder G würde man ungefähr die Linie L M nehmen müssen, wenn L der Mittelpunkt der Schweere der Figur A G H I wäre; für die Höhe C aber, Linie l m, wenn l der Mittelpunkt der Schweere der ganzen Figur A D K I wäre. Diesem zufolge müsste die Verminderung der Lebhaftigkeit der Farbe für den Ort F durch A F x L M; für den Ort E, durch A E x L M und für den Ort C durch A C x l m ausgedruckt werden, das ist, für jeden Ort müsste die Entfernung durch die für seine Höhe sich passende Linie L M multiplicirt werden. Doch könnte diese Regel nicht auf die nahe am Scheitelpunkt stehenden Gegenstände angewendet werden. Aber dergleichen kommen auch in Gemälden nicht vor.

 Es lässt sich absehen, dass nach einer genauen Berechnung der Sache, endlich für den Maler leicht zufassende Regeln für diesen Punkt der Luftperspektiv, aus der Theorie würden können gezogen werden. Niemand würde dieses besser tun können als Herr Lambert; daher zu wünschen ist, dass er sich dieser Arbeit unterziehen möchte. Diese Regeln würden also dem Maler anzeigen, wie viel graues er der natürlichen Farbe jedes Gegenstandes beimischen müsste, um die Farbe so heraus zu bringen, wie sie sich in jedem Abstand des Körpers zeigt. Mit dem Gebrauch des Farbenregisters verbunden, würden sie dem Maler auch zeigen, in was für einer Entfernung vom Auge, jeder Körper seine Farbe verliert und die Luftfarbe, die blaulich grau ist, annimmt.

 Von dieser Schwächung der Farben hängt auch die, in gleichem Maße abnehmende, Schwächung des Lichts und der Schatten ab, welches der zweite Hauptpunkt der Luftperspektive ist, der einen großen Einfluss auf die körperliche Gestalt der Dinge hat. Um dieses deutlich zu begreifen, bedenke man nur, dass die körperliche oder stereometrische Rundung einer Kugel in einer gewissen Entfernung sich völlig ver liert und dass die Kugel dem Auge daselbst bloß wie ein runder Teller vorkommt. Man setze in der vorhergehenden Figur ein Auge in a, dem die Kugel bei b in ihrer völligen Rundung erscheint; so würde dieselbe Kugel bei c schon flacher, bei d noch flacher, bei e noch flacher und bei f ganz flach erscheinen. Dieses geschieht, so bald die aus der Figur der Kugel entstehenden Schattierungen ihrer Farbe unmerklich werden. Eben dieses wiederfährt jedem Körper und jeder Gruppe und die nahen Gegenstände eines Gemäldes müssen mehr herausstehende Höhe (Relief) haben als die entferntern. Dieses ist ein sehr wichtiger Punkt der Luftperspektiv, den nicht bloß der Landschaftmaler, sondern auch Historien- und der Portraitmaler genau studieren müssen. Vergeblich würde man die Regeln der Linienperspektive beobachten, wenn man diese versäumte: was die Zeichnung in die Ferne setzte, würde die Erhabenheit der Figuren und die Lebhaftigkeit der Farben, wieder nahe bringen und entfernte Menschen würden in der Landschaft, wie nahe Zwerge aussehen.

 Endlich ist auch die Wirkung der Entfernung auf die Mittelfarben und Wiederscheine in Betrachtung zu ziehen. Da wo die Hauptfarben schon merklich geschwächt werden, müssen die Tinten der Mittelfarben und die Wiederscheine schon ganz wegfallen.

Dieses kann hinlänglich sein, um jeden zu über zeugen, wie wichtig das Studium der Luftperspektive für jeden Maler sei und wie viel zu bearbeiten wäre, um diesen Teil der Kunst so vollkommen zu machen als die Linienperspektiv ist. Man muss sich wundern, dass ungeachtet Leonhardo da Vinci schon verschiedene einzelne Punkte dieser Wissenschaft mit der Genauigkeit eines Meßkünstlers behandelt hat4, sich bis jetzt niemand gefunden, der sie in ihrem Umfang methodisch vorzutragen unternommen hätte. Man kann aus einer Stelle des Philostratus schließen, dass auch die Alten schon gute Bemerkungen über die Luftperspektive gemacht haben.5

 

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1 S. Farben.

2 Von Ausmessung des Lichts und der Schatten handelt das nicht nach Verdienst bekannte Werk, welches er unter dem Namen Photometria 1760 in Augsburg herausgegeben. Und zum Farbenregister hat er einen guten Anfang geliefert, in einem Werk das kürzlich unter dem Titel: Beschreibung einer mit dem Calauischen Wachs ausgemalten Farbenpyramide in Berlin herausgekommen ist.

3 Betracht. über Malerei. S. § 55. f. f.

4 Man sehe unter anderm in dieses großen Mannes vortreflichen Anmerkungen über die Malerei das 107, 134 und das 164 Kapitel, in welchem letzten er Versuche vorschlägt, wodurch man unmittelbar praktische Regeln abnehmen könnte.

5 Philostr. Icones. L. I. Piscatores

 


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