Kalt

Kalt. (Schöne Künste) Dieses Wort wird in den schönen Künsten, bei mehreren Gelegenheiten in figürlichem Sinn genommen. Am gewöhnlichsten bedeutet es eine ruhige und gelassene Gemütsfassung bei leidenschaftlichen Gegenständen. Man sagt von einem Menschen, er sei von kaltem Charakter; (er habe ein kaltes Geblüt) wenn er bei solchen Gelegenheiten, da fast alle Menschen in Leidenschaft geraten, ruhig und gelassen, ohne merkliche Lebhaftigkeit ist. Eine solche Fassung ist, so gut als die Leidenschaft selbst, ein Gegenstand der schönen Künste. Denn ob sie gleich auf Erweckung lebhafter Empfindungen, die man auch warme Empfindungen nennt, abziehlen und insofern gebraucht werden, dem menschlichen Gemüte eine heilsame Wirksamkeit zu geben und seine Triebfedern zu spannen; so kann doch die kalte Gemütsfassung auf mancherlei Weise der Gegenstand oder das Ziel der Werke des Geschmacks sein. Aber dann muss sie nicht eine natürliche Trägheit und Unempfindlichkeit, sondern eine ungewöhnliche Stärke der Vernunft zum Grund haben. Denn ein unempfindlicher Mensch, ist fast immer ein armes, unbrauchbares Geschöpf; aber der durch die Stärke der Vernunft bei leidenschaftlichen Gegenständen kalt bleibende Mensch, verdient überall unsere Aufmerksamkeit.

  Es scheint um so mehr der Mühe wert, die Dichter und den Redner auf diesen Gegenstand aufmerksam zu machen, da er gewöhnlich ganz übersehen wird. Die meisten Kunstrichter sprechen von warmen, lebhaften Empfindungen als wenn sie die einzigen wären, worauf die redenden Künste zielen: und selten trift man in Werken der Kunst merkwürdige Charaktere von kalter Art an.

 Sollte der durch die Stärke der Vernunft bei leidenschaftlichen Gegenständen kalt bleibende Mensch, für den Künstler ein weniger vorteilhafter Gegenstand sein als der durch Leidenschaft aufgebrachte? Dieses werden nur die Künstler behaupten, denen es selbst an einem gewissen Grad der Stärke des Geistes fehlt. Nur diese werden allemal einen aufbrennenden Achilles, einem kalten Regulus vorziehen. Freilich ist es sehr viel leichter jenen als diesen nach seinem Charakter reden und handeln zu lassen. Der leidenschaftliche Zustand ist dem Menschen gewöhnlicher als der kalte, der eine Wirkung der Vernunft ist; darum wird jener dem Künstler in der Bearbeitung und dem Liebhaber in der Beurteilung und im Genuß leichter als dieser.

 Aber eben deswegen hat der Künstler, um etwas ganz vorzügliches zu machen, die Gelegenheit in Acht zu nehmen, solche schwerere Charaktere zu behandeln. Dadurch kann er bei den feinsten Kennern den größten Ruhm erwerben und den Beifall der Menschen erhalten, die eine höhere Vernunft, eine vorzügliche Stärke des Geistes, über die anderen erhebt. Das Kalte ist der Erhabenheit eben so fähig als das Leidenschaftliche und rührt noch mehr, weil es seltener ist und höhere Gemütskräfte erfordert. Ein Beispiel davon gibt uns der alte Horaz des P. Corneille. Die Antwort, die ihm der Dichter bei einer höchst leidenschaftlichen Gelegenheit in den Mund legt.1 Qu'il mourû t, wird mit Recht unter den Beispielen des Erhabenen angeführt. Sie ist kalte Vernunft und ruhige Stärke des Geistes. Und so ist der Abschied des Noah und Sipha in der Noachide.2

 In Absicht auf den Nutzen können wir anmerken, dass man zwar sehr oft nötig hat, den trägen Menschen anzutreiben, seine Kräfte zu brauchen: aber auch nur gar zu oft sind die Nerven der Seele zu reizbar und fordern den Einfluss der kühlenden Vernunft.

 Wir empfehlen dem epischen und dem dramatischen Dichter, ein ernstliches Nachdenken über die Wichtigkeit der kalten Charaktere. Kommen sie gleich selten vor, so sind sie dann von desto größerm Gewichte. Selbst die Ode oder wenigstens das Lied verträgt bisweilen den kalten Ton der Vernunft. Wer Lust hat in diesem Fach Versuche zu machen, der kann sich dazu am besten dadurch vorbereiten, dass er sich mit den Schriften der alten Stoiker und der äch ten Schüler des Sokrates, dem Xenophon und Äschines bekannt macht. Denn nirgend erscheint die Vernunft so sehr in ihrer wahren Stärke als in diesen beiden Schulen der Philosophie. Aber wie viel gehört nicht dazu, in dieser Art glücklich zu sein; wie leicht ist es nicht hier matt und langweilig zu werden? Die Kunst erfordert vorzüglich eine lebhafte Einbildungskraft; und wie gar selten ist diese mit der starken Vernunft verbunden?

  Den Rednern und Schauspielern ist in Ansehung des Vortrages noch ein Wort hierüber zu sagen. Auch da scheint es, dass man auf den feurigen Ausdruck so viel Aufmerksamkeit wende, dass der kalte darüber ganz vergessen wird. Und doch ist dieser überall notwendig, wo der Innhalt selbst bloß Vernunft ist. Wo Sachen vorkommen, die in dem Ton der Beratschlagung und der Überlegung geschrieben sind, da muss der Vortrag kalt, aber nachdrücklich sein. In der Kälte des Redners selbst liegt oft schon die Kraft der Überzeugung, so wie er wie es im Gegenteil oft durch die Hitze, womit er in uns dringt, uns verdächtig wird.

 Es trift sich so gar, dass bei sehr wichtigen Gegenständen, die Sachen durch einen kalten Vortrag weit mehr Nachdruck bekommen als der lebhafteste, feurigste Vortrag hätte bewirken können. Der Schauspieler kann die vorher angeführte Antwort des alten Horaz nicht wohl in einem zu kalten und ruhigen Ton vortragen. Denn eben dadurch bekommt der Charakter des Mannes seine Größe. Und wie groß ist nicht das, was von dem Epiktet erzählt wird, der seinem grausamen Herren, da er ihm in der Wut ein Bein zerbrochen, in ruhigem kalten Ton sagt: Ich hatte dirs wohl vorhergesagt, dass es so kommen würde. Es ist offenbar, dass dieses um so viel stärkern Eindruck machen muss, je kälter es gesagt wird.

 Kalt, bezeichnet in der Malerei eine Unvollkommenheit in dem Kolorit, da nämlich den gemalten Gegenständen das Leben und eine Wärme, die man in der Natur darin zu fühlen glaubt, fehlt. Nicht nur die Tiere, die so lange sie leben, eine innerliche Wärme haben, sondern auch Landschaften, wo die Natur in ihrer vollen Wirksamkeit ist, erwecken bisweilen eine Empfindung, die man mit der Wärme vergleicht. Überhaupt wendet man gar oft die Begriffe von Wärme und Kälte auf die Farben an. Gewissen Farben schreibt man so gar ein Feuer zu und so scheinen andere kalt. Die schönen ganzen Farben, besonders wenn sie glänzen, erwecken den Begriff der Wärme; die gebrochenen und matten Farben aber, den Begriff der Kälte. Also ist jedes Gemälde, wo matte Mittelfarben herrschen, das daher aussieht als wenn es mit gefärbten Kreiden gemalt wäre, kalt. Man empfindet dabei, dass die Farben nicht das glänzende Kleid der Natur, sondern eine künstliche Schminke sind.

 Ein kaltes Kolorit benimmt dem Gemälde von der besten Erfindung und Zeichnung sehr viel von seinem Werte, wie man an den Gemälden des Poußin sehen kann. Je mehr der Maler in Mischung und Zusammensetzung seiner Farben künstelt und sie, wie die französischen Kunstrichter es wohl ausdrücken, auf der Palette martert, je mehr läuft er Gefahr ein kaltes Kolorit zu bekommen. Im Gegenteil also vermeidet man das Kalte, wenn man viel ganze Farben braucht; wenn man sie voll und stark aufträgt und wenig darein arbeitet. Nur gehört dann eine große Kenntnis und Fertigkeit dazu, nicht hart oder bunt zu werden. Die meisten Maler würden ins Bunte fallen, wenn sie das Warme und äußerst schöne Kolorit eines Corregio nachahmen wollten. S. Warm.

 Es gibt eine Art zu malen, nach welcher die Gemälde durch das Alter die Wärme verlieren, welches man Absterben nennt; die also mit der Zeit kalt werden. Dieses geschieht, wenn der Maler seine Farben nicht kennt und solche untereinander mischt oder übereinander trägt, die sich nach und nach zerstören; oder wenn er die feinen Farben, die allmählich verfliegen, zu dünne aufträgt. Die Gemälde sterben allemal am wenigsten ab, die auf einmal gemacht und wo eben deswegen die Farben fett aufgetragen und wenig in einander getrieben werden. Allgemein zieht sich bald der größte Teil des Öles auf die Oberfläche, wo es in eine zähe Haut verwandelt wird, die eine Art von Firnis abgibt, der die darunter liegenden Farben vor Veränderung bewahrt.

 

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1 S. Art. Groß 1 Th. S. 497 .

2 S. Art. heroisch erster Th. S. 536 .

 


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