Entwicklung und Embryologie


Dies ist einer der wichtigsten Teile im ganzen Gebiete der Naturgeschichte. Allgemein werden die Metamorphosen der Insekten etwas abrupt in ein paar Stufen ausgeführt; die Umformungen sind aber in Wirklichkeit zahlreich und allmählich, wenn auch verdeckt. So hat z.B. Sir J. LUBBOCK gezeigt, dass ein gewisses ephemerides Insekt (Chloëon) sich während seiner Entwicklung über zwanzig Mal häutet und jedesmal einen gewissen Betrag von Veränderung erfährt; in einem solchen Falle haben wir den Akt der Metamorphose in seinem natürlichen oder primären Gange vor uns. Was für große Strukturveränderungen während der Entwicklung mancher Tiere ausgeführt werden, zeigen uns viele Insekten, noch deutlicher aber viele Krustazeen. Derartige Veränderungen erreichen indessen ihren Höhepunkt in dem sogenannten Generationswechsel einiger der niederen Tiere. Was kann z.B. größeres Erstaunen erregen, als dass ein zartes verzweigtes, mit Polypen besetztes und an einen submarinen Felsen geheftetes Korallenstöckchen erst durch Knospung, dann durch quere Teilung eine Menge großer schwimmender Quallen erzeugt, und dass diese Quallen Eier produzieren, aus denen zunächst freischwimmende Tierchen hervorgehen, welche sich an Steine heften und sich zu verzweigten Polypenstöckchen entwickeln; und so fort in endlosen Kreisen? Die Ansicht von der wesentlichen Identität des Generationswechsels mit der gewöhnlichen Metamorphose hat neuerdings durch N. WAGNER's Entdeckung eine kräftige Stütze erhalten, wonach die Larve einer Cecidomyia, d. i. die Made einer Fliege, ungeschlechtlich andere ähnliche Larven und diese wiederum andere erzeugt, welche endlich in reife Männchen und Weibchen entwickelt werden, die ihre Art in der gewöhnlichen Weise durch Eier fortpflanzen.

Es mag der Erwähnung wert sein, dass ich, als WAGNER's Entdeckung zuerst bekannt wurde, gefragt wurde, wie es zu erklären möglich sei, dass die Larven dieser Fliegen das Vermögen der geschlechtslosen Vermehrung erlangt hätten. Solange der Fall einzig blieb, konnte keine Antwort gegeben werden. Es hat nun aber bereits GRIMM gezeigt, dass eine andere Fliege, ein Chironomus, sich auf eine nahezu gleiche Art und Weise fortpflanzt; auch glaubt er, dass dies in der Ordnung häufig vorkomme. Es ist die Puppe und nicht die Larve des Chironomus, welche diese Fähigkeit hat; und GRIMM zeigt ferner, dass dieser Fall in einer gewissen Ausdehnung »den von der Cecidomyia mit der Parthenogenesis der Cocciden verbindet«, wobei der Ausdruck Parthenogenesis die Tatsache umfasst, dass die reifen Weibchen der Cocciden fähig sind, ohne Zutun der Männchen fruchtbare Eier zu legen. Man kennt jetzt gewisse zu verschiedenen Klassen gehörige Tiere, welche das gewöhnliche Fortpflanzungsvermögen in einem ungewöhnlich frühen Alter besitzen. Wir brauchen nun bloß die parthenogenetische Reproduktion durch allmähliche Abstufungen auf ein immer früheres Alter zurückzutreiben, — wobei uns Chironomus einen beinahe genau intermediären Zustand, nämlich die Puppe, zeigt, — und wir können vielleicht den wunderbaren Fall der Cecidomyia erklären.

Es ist schon bemerkt worden, dass verschiedene Teile eines und desselben Individuums, welche sich in einer frühen embryonalen Zeit einander völlig gleich sind, im reifen Alter der Tiere sehr verschieden und zu ganz abweichenden Diensten bestimmt werden. Ebenso wurde erwähnt, dass die verschiedensten Arten und Gattungen derselben Klasse im Embryonalzustand einander allgemein sehr ähnlich, wenn aber vollständig entwickelt, sehr unähnlich sind. Ein besserer Beweis dieser letzten Tatsache lässt sich nicht anführen als der, welchen von BAER erwähnt, »dass die Embryonen von Säugetieren, Vögeln, Eidechsen, Schlangen und wahrscheinlich auch Schildkröten sich in der ersten Zeit, im Ganzen sowohl als in der Bildungsweise ihrer einzelnen Teile, so außerordentlich ähnlich sind, dass man sie in der Tat nur an ihrer Größe unterscheiden könne. Ich besitze zwei Embryonen in Weingeist aufbewahrt, deren Namen ich beizuschreiben vergessen habe, und nun bin ich ganz außer Stand zu sagen, zu welcher Klasse sie gehören. Es können Eidechsen oder kleine Vögel oder sehr junge Säugetiere sein, so vollständig ist die Ähnlichkeit in der Bildungsweise von Kopf und Rumpf dieser Tiere. Die Extremitäten fehlen indessen noch. Aber auch wenn sie vorhanden wären, so würden sie auf ihrer ersten Entwicklungsstufe nichts beweisen; denn die Beine der Eidechsen und Säugetiere, die Flügel und Beine der Vögel nicht weniger als die Hände und Füsse der Menschen: alle entspringen aus der nämlichen Grundform.« — Die Larven der meisten Krustazeen gleichen auf entsprechenden Entwicklungsstufen einander sehr, wie verschieden auch die Erwachsenen werden mögen; und so verhält es sich bei vielen anderen Tieren. Zuweilen geht eine Spur des Gesetzes der embryonalen Ähnlichkeit noch in ein späteres Alter über; so gleichen Vögel derselben Gattung oder nahe verwandter Genera einander oft in ihrem Jugendkleide: alle Drosseln z.B. in ihrem gefleckten Gefieder. In der Katzenfamilie sind die meisten Arten, wenn sie erwachsen sind, gestreift oder streifenweise gefleckt; und solche Streifen oder Flecken sind auch noch am neugeborenen Jungen des Löwen und des Puma deutlich vorhanden. Wir sehen zuweilen, aber selten, auch etwas derart bei den Pflanzen. So sind die Embryonalblätter des Ulex und die ersten Blätter der neuholländischen Acacien, welche später nur noch Phyllodien hervorbringen, zusammengesetzt oder gefiedert, wie die gewöhnlichen Leguminosenblätter.

Diejenigen Punkte der Organisation, worin die Embryonen ganz verschiedener Tiere einer und derselben Klasse sich gegenseitig gleichen, haben oft keine unmittelbare Beziehung zu ihren Existenzbedingungen. Wir können z.B. nicht annehmen, dass in den Embryonen der Wirbeltiere der eigentümliche schleifenartige Verlauf der Arterien nächst den Kiemenspalten des Halses mit der Ähnlichkeit der Lebensbedingungen in Zusammenhang stehe: beim jungen Säugetiere, das im Mutterleibe ernährt wird, beim Vogel, welcher dem Eie entschlüpft, und beim Frosche, der sich im Laiche unter Wasser entwickelt. Wir haben nicht mehr Grund, an einen solchen Zusammenhang zu glauben, als anzunehmen, dass die Übereinstimmung der Knochen in der Hand des Menschen, im Flügel einer Fledermaus und im Ruderfusse eines Tümmlers mit einer Übereinstimmung der äußeren Lebensbedingungen in Verbindung stehe. Niemand wird annehmen, dass die Streifen an dem jungen Löwen oder die Flecken an der jungen Amsel diesen Tieren von irgend welchem Nutzen sind.

Anders verhält sich jedoch die Sache, wenn ein Tier während eines Teiles seiner Embryonalzeit aktiv ist und für sich selbst zu sorgen hat. Die Periode der Tätigkeit kann früher oder kann später im Leben kommen; doch wann immer sie auch kommen mag, die Anpassung der Larve an ihre Lebensbedingungen ist eben so vollkommen und schön, wie die des reifen Tieres an die seinige. In welch' wichtiger Weise dies zur Erscheinung kommt, hat Sir J. LUBBOCK vor kurzem in seinen Bemerkungen über die große Ähnlichkeit der Larven mancher zu weit getrennten Ordnungen gehörender Insekten und die Unähnlichkeit der Larven anderer zu derselben Ordnung gehörender Insekten, je nach der Lebensweise, gezeigt. Durch derartige Anpassungen, besonders wenn sie eine Arbeitsteilung auf die verschiedenen Entwicklungsstufen einschließen, wenn z.B. eine Larve auf dem einen Zustande Nahrung zu suchen, auf dem andern einen Ort zum Anheften auszuwählen hat, wird dann zuweilen auch die Ähnlichkeit der Larven einander verwandter Tiere sehr verdunkelt; und es ließen sich Beispiele anführen, wo die Larven zweier Arten und sogar Artengruppen noch mehr von einander verschieden sind, als ihre reifen Eltern. In den meisten Fällen jedoch folgen auch die tätigen Larven noch mehr oder weniger dem Gesetze der embryonalen Ähnlichkeit. Die Cirripeden liefern einen guten Beleg dafür: selbst der berühmte CUVIER erkannte nicht, dass ein Lepas ein Kruster ist; aber ein Blick auf ihre Larven verrät dies in unverkennbarer Weise, und eben so haben die zwei Hauptabteilungen der Cirripeden, die gestielten und die sitzenden, welche in ihrem äußeren Ansehen so sehr von einander abweichen, Larven, die auf allen ihren Entwicklungsstufen kaum von einander unterschieden werden können.

Während des Verlaufes seiner Entwicklung erhebt sich der Embryo gewöhnlich in der Organisation; ich gebrauche diesen Ausdruck, obwohl ich weiß, dass es kaum möglich ist, genau anzugeben, was unter höherer oder tieferer Organisation zu verstehen sei. Doch wird wahrscheinlich Niemand bestreiten, dass der Schmetterling höher organisiert sei als die Raupe. In einigen Fällen jedoch, wie bei parasitischen Krustern, sieht man allgemein das reife Tier für tieferstehend als die Larve an. Ich beziehe mich wieder auf die Cirripeden. Auf ihrer ersten Stufe hat die Larve drei Paar Füsse, ein einziges sehr einfaches Auge und einen rüsselförmigen Mund, womit sie reichliche Nahrung aufnimmt, denn sie nimmt bedeutend an Größe zu. Auf der zweiten Stufe, dem Puppenstande des Schmetterlings entsprechend, hat sie sechs Paar schön gebauter Schwimmfüße, ein Paar herrlich zusammengesetzter Augen und äußerst zusammengesetzte Fühler, aber einen geschlossenen und unvollkommenen Mund, der keine Nahrung aufnehmen kann; ihre Verrichtung auf dieser Stufe ist, einen zur Befestigung und zur letzten Metamorphose geeigneten Platz mittelst ihres wohl entwickelten Sinnesorganes zu suchen und mit ihren mächtigen Schwimmorganen zu erreichen. Wenn diese Aufgabe erfüllt ist, so bleibt das Tier lebenslänglich an seiner Stelle befestigt; seine Beine verwandeln sich in Greiforgane; es bildet sich wieder ein gut gebildeter Mund aus; aber das Tier hat keine Fühler, und seine beiden Augen haben sich jetzt wieder in einen kleinen und ganz einfachen Augenfleck verwandelt. In diesem letzten und vollständigen Zustande kann man die Cirripeden als höher oder tiefer organisiert betrachten, als sie im Larvenzustande gewesen sind. In einigen ihrer Gattungen jedoch entwickeln sich die Larven entweder zu Hermaphroditen von der gewöhnlichen Bildung oder zu (von mir so genannten) komplementären Männchen; und in diesen letzten ist die Entwicklung sicher zurückgeschritten, denn sie bestehen aus einem bloßen Sack mit kurzer Lebensfrist, ohne Mund, Magen oder anderes wichtiges Organ, das der Reproduktion ausgenommen.

Wir sind so sehr gewöhnt, Strukturverschiedenheiten zwischen Embryonen und erwachsenen Organismen zu sehen, dass wir uns veranlasst fühlen, diese Erscheinung als in gewisser Weise notwendig mit dem Wachstum zusammenfallend zu betrachten. Inzwischen ist doch kein Grund einzusehen, warum der Plan z.B. zum Flügel der Fledermaus oder zum Ruder des Tümmlers mit allen ihren Teilen in den richtigen Verhältnissen nicht schon im Embryo entworfen worden sein könnte, sobald nur irgend ein Gebilde in demselben sichtbar wurde. Und in einigen ganzen Tiergruppen sowohl als in gewissen Gliedern anderer Gruppen ist dies der Fall und weicht der Embryo zu keiner Zeit seines Lebens weit vom Erwachsenen ab; so hat OWEN in Bezug auf die Tintenfische bemerkt: »da ist keine Metamorphose; der Cephalopodencharakter ist deutlich da, schon weit früher als die Teile des Embryos vollständig sind.« Land-Mollusken und Süsswasser-Krustazeen werden in der ihnen eigenen Form geboren, während die marinen Formen dieser beiden großen Klassen beträchtliche und oft sehr große Entwicklungsveränderungen durchlaufen. Ferner erleiden die Spinnen kaum irgend eine Metamorphose. Bei fast allen Insekten durchlaufen die Larven, mögen sie nun tätig und den verschiedenst gestalteten Lebensarten angepasst sein oder untätig bleiben, dabei von ihren Eltern gefüttert oder mitten in die ihnen angemessene Nahrung hineingesetzt werden, eine ähnliche wurmförmige Entwicklungsstufe; in einigen wenigen Fällen aber ist, wie bei Aphis, nach den trefflichen Zeichnungen HUXLEY's über die Entwicklung dieses Insekts, kaum eine Spur dieses wurmförmigen Zustandes zu finden.

In manchen Fällen fehlen nur die früheren Entwicklungsstufen. So hat FRITZ MÜLLER die merkwürdige Entdeckung gemacht, dass gewisse garneelenartige Krustazeen (mit Penaeus verwandt) zuerst in der einfachen Nauplius-Form erscheinen, dann zwei oder drei Zoëat— Stufen, dann die Mysis-Form durchlaufen und endlich die reife Form erlangen. Nun kennt man in der ganzen enormen Klasse der Malakostraken, zu denen diese Kruster gehören, bis jetzt keine Form, die zuerst eine Nauplius-Form entwickelte, obschon sehr viele als Zoëa erscheinen. Demungeachtet belegt MÜLLER seine Ansicht mit Gründen, dass alle Krustazeen als Nauplii erschienen sein würden, wenn keine Unterdrückung der Entwicklung eingetreten wäre.

Wie sind aber dann diese verschiedenen Erscheinungen der Embryologie zu erklären? — nämlich: die sehr gewöhnliche, wenn auch nicht allgemeine Verschiedenheit der Organisation des Embryos und des Erwachsenen? — die in einer frühern Periode bestehende Gleichheit der verschiedenen Teile desselben individuellen Embryo, welche schließlich sehr ungleich werden und verschiedenen Zwecken dienen? — die fast allgemeine obschon nicht ausnahmslose Ähnlichkeit zwischen Embryonen oder Larven der verschiedensten Spezies einer und derselben Klasse? — das Bestehenbleiben von Bildungen am Embryo, solange er sich im Ei oder dem mütterlichen Körper findet, welche weder zu dieser noch einer spätern Periode des Lebens für ihn von Nutzen sind, während Larven, welche für sich selbst zu sorgen haben, den umgebenden Bedingungen vollkommen angepasst sind — und endlich die Tatsache, dass gewisse Larven höher auf der Stufenleiter der Organisation stehen, als die reifen Tiere, zu denen sie sich entwickeln? Ich glaube, dass sich alle diese Erscheinungen auf folgende Weise erklären lassen.

Gewöhnlich nimmt man an, vielleicht weil Monstrositäten sich oft sehr früh am Embryo zu zeigen beginnen, dass geringe Abänderungen oder individuelle Verschiedenheiten notwendig in einer gleichmäßig frühen Periode des Embryos zum Vorschein kommen. Doch haben wir dafür wenig Beweise, und diese weisen sogar eher auf das Gegenteil; denn es ist bekannt, dass die Züchter von Rindern, Pferden und verschiedenen Tieren der Liebhaberei erst eine gewisse Zeit nach der Geburt des jungen Tieres zu sagen im Stande sind, welche Form oder Vorzüge dasselbe schließlich zeigen wird. Wir sehen dies deutlich bei unseren eigenen Kindern; wir können nicht immer sagen, ob die Kinder von schlanker oder gedrungener Figur sein oder wie sie sonst genau aussehen werden. Die Frage ist nicht: in welcher Lebensperiode eine Abänderung verursacht worden ist, sondern in welcher die Wirkungen in die Erscheinung treten werden. Die Ursache kann schon auf Vater oder Mutter oder auf beide Eltern vor der Reproduktion gewirkt haben und hat nach meiner Meinung gewöhnlich da schon gewirkt. Es verdient Beachtung, dass es für ein sehr junges Tier, solange es noch im Mutterleibe oder im Ei eingeschlossen ist oder von seinen Eltern genährt und geschützt wird, von keiner Bedeutung ist, ob es die meisten Charaktere etwas früher oder später im Leben erlangt. Es würde z.B. für einen Vogel, der sich sein Futter am besten mit einem stark gekrümmten Schnabel verschafft, gleichgültig sein, ob er die entsprechende Schnabelform schon bekömmt, solange er noch von seinen Eltern gefüttert wird, oder nicht.

Ich habe im ersten Kapitel angeführt, dass eine Abänderung, die in irgend welcher Lebenszeit der Eltern zuerst zum Vorschein kommt, sich auch in gleichem Alter wieder beim Jungen zu zeigen strebt. Gewisse Abänderungen können nur in sich entsprechenden Altern wieder erscheinen, wie z.B. die Eigentümlichkeiten der Raupe oder des Kokons oder des Imago des Seidenschmetterlings, oder der Hörner des fast erwachsenen Rindes. Aber auch außerdem streben Abänderungen, welche nach Allem, was wir wissen, einmal früher oder später im Leben eingetreten sein könnten, im entsprechenden Alter des Nachkommen wieder zu erscheinen. Ich bin weit entfernt zu glauben, dass dies unabänderlich der Fall ist, und könnte selbst eine gute Anzahl von Ausnahmefällen anführen, wo Abänderungen (im weitesten Sinne des Wortes genommen) im Kinde früher als in den Eltern eingetreten sind.

Diese zwei Gesetze, dass nämlich unbedeutende Abänderungen allgemein zu einer nicht sehr frühen Lebensperiode eintreten und zu einer entsprechenden nicht frühen Periode vererbt werden, erklären, wie ich glaube, alle oben aufgezählten Haupterscheinungen in der Embryologie. Doch, sehen wir uns zuerst nach einigen analogen Fällen bei unseren Haustiervarietäten um. Einige Autoren, die über den Hund geschrieben haben, behaupten, der Windhund und der Bullenbeisser seien, wenn auch noch so verschieden von Aussehen, in der Tat sehr nahe verwandte Varietäten, vom nämlichen wilden Stamme entsprossen. Ich war daher begierig zu erfahren, wie weit ihre neugeworfenen Jungen von einander abweichen. Züchter sagten mir, dass sie beinahe eben so verschieden seien wie ihre Eltern; und nach dem Augenschein mag dies auch beinahe der Fall sein. Aber bei wirklicher Ausmessung der alten Hunde und der 6 Tage alten Jungen fand ich, dass diese letzten entfernt noch nicht die abweichenden Maßverhältnisse angenommen hatten. Ebenso ist mir mitgeteilt worden, dass die Füllen des Karren- und des Rennpferdes, — zwei Rassen, welche fast gänzlich durch Zuchtwahl im Zustande der Domestikation gebildet worden sind —, eben so sehr wie die erwachsenen Tiere von einander abweichen. Als ich aber sorgfältige Ausmessungen an den Müttern und den drei Tage alten Füllen eines Renners und eines Karrengauls vornahm, fand ich, dass dies keineswegs der Fall ist.

Da wir entscheidende Beweise dafür besitzen, dass die verschiedenen Haustaubenrassen von nur einer wilden Art herstammen, so verglich ich junge Tauben verschiedener Rassen 12 Stunden nach dem Ausschlüpfen miteinander; ich maß die Größenverhältnisse (wovon ich die Einzelnheiten hier nicht mitteilen will) des Schnabels, der Weite des Mundes, der Länge der Nasenlöcher und der Augenlider, der Läufe und Zehen sowohl beim wilden Stamme, als bei Kröpfern, Pfauentauben, Runt- und Barbtauben, Drachen- und Botentauben und Purzlern, Einige von diesen Vögeln weichen nun im reifen Zustande so außerordentlich in der Länge und Form des Schnabels und in anderen Charakteren von einander ab, dass man sie, wären sie natürliche Erzeugnisse, zweifelsohne in ganz verschiedene Genera bringen würde. Wenn man aber die Nestlinge dieser verschiedenen Rassen in eine Reihe ordnet, so erscheinen, obwohl man die meisten derselben eben noch von einander unterscheiden kann, die Verschiedenheiten ihrer Proportionen in den genannten Beziehungen unvergleichbar geringer, als in den erwachsenen Vögeln. Einige charakteristische Differenzpunkte der Alten, wie z.B. die Weite des Mundspaltes, sind an den Jungen noch kaum zu entdecken. Ich fand nur eine merkwürdige Ausnahme von dieser Regel, indem die Jungen des kurzstirnigen Purzlers von den Jungen der wilden Felstaube und der anderen Rassen in allen Maßverhältnissen fast genau ebenso verschieden waren, wie im erwachsenen Zustande.

Die zwei oben aufgestellten Gesetze erklären diese Tatsachen. Liebhaber wählen ihre Pferde, Hunde und Tauben zur Nachzucht aus, wenn sie nahezu erwachsen sind. Es ist ihnen gleichgültig, ob die verlangten Bildungen und Eigenschaften früher oder später im Leben zum Vorschein kommen, wenn nur das erwachsene Tier sie besitzt. Und die eben mitgeteilten Beispiele insbesondere von den Tauben zeigen, dass die charakteristischen Verschiedenheiten, welche den Wert einer jeden Rasse bedingen und durch künstliche Zuchtwahl gehäuft worden sind, nicht allgemein in einer frühen Lebensperiode zum Vorschein gekommen und auch erst in einem entsprechenden spätern Lebensalter auf die Nachkommen vererbt sind. Aber der Fall mit dem kurzstirnigen Purzler, welcher schon in einem Alter von zwölf Stunden seine eigentümlichen Maßverhältnisse besitzt, beweist, dass dies keine allgemeine Regel ist; denn hier müssen die charakteristischen Unterschiede entweder in einer früheren Periode als gewöhnlich erschienen, oder wenn nicht, statt in dem entsprechenden in einem früheren Alter vererbt worden sein.

Wenden wir nun diese zwei Gesetze auf die Arten im Naturzustande an. Nehmen wir eine Vogelgruppe an, die von irgend einer alten Form herkommt und durch natürliche Zuchtwahl für verschiedene Lebensweisen modifiziert worden ist. Dann werden in Folge der vielen successiven kleinen Abänderungsstufen, welche in einem nicht frühen Alter eingetreten sind und sich in entsprechendem Alter weiter vererbt haben, die Jungen nur wenig modifiziert worden und sich einander immer noch ähnlicher geblieben sein, als es bei den Alten der Fall ist, gerade so wie wir es bei den Tauben gesehen haben. Wir können diese Ansicht auf sehr verschiedene Bildungen und auf ganze Klassen ausdehnen. Die vorderen Gliedmassen z.B., welche der Stammart als Beine gedient haben, mögen in Folge langwährender Modifikation bei dem einen Nachkommen den Diensten der Hand, bei einem andern denen des Ruders und bei einem dritten solchen des Flügels angepasst worden sein: aber nach den zwei obigen Gesetzen werden die vorderen Gliedmassen in den Embryonen dieser verschiedenen Formen nicht sehr modifiziert worden sein, obschon in jeder die Vordergliedmassen des reifen Tieres sehr verschieden sind. Was für einen Einfluss lange fortgesetzter Gebrauch oder Nichtgebrauch auf die Abänderung der Gliedmassen oder anderer Teile irgend einer Spezies auch immer gehabt haben mag, so wird ein solcher Einfluss doch hauptsächlich oder ganz allein das nahezu reife Tier betreffen, welches bereits seine ganze Lebenskraft zu entfalten hat und sein Leben selbst fristen muss; und die so entstandenen Wirkungen werden sich im entsprechenden nahezu reifen Alter vererben. Das Junge wird daher nicht oder nur wenig durch die Wirkungen des vermehrten Gebrauchs oder Nichtgebrauchs modifiziert werden.

In einigen Fällen mögen die aufeinanderfolgenden Abänderungsstufen schon in sehr früher Lebenszeit erfolgt, oder jede solche Stufe wird in einer frühern Lebensperiode vererbt worden sein, als worin sie zuerst entstanden sind. In beiden Fällen wird das Junge oder der Embryo, (wie die Beobachtung am kurzstirnigen Purzler zeigt) der reifen elterlichen Form vollkommen gleichen. Und dies ist in einigen ganzen Tiergruppen oder nur in gewissen Untergruppen die Regel, wie bei den Tintenfischen, Land-Mollusken, Süsswasser-Krustazeen, Spinnen, und in einigen Fällen aus der großen Klasse der Insekten. Was nun die Endursache betrifft, warum das Junge in diesen Fällen keine Metamorphose durchläuft, so lässt sich erkennen, dass dies von den folgenden zwei Bedingungen herrührt; erstens davon, dass das Junge schon von sehr früher Entwicklungsstufe an für seine eigenen Bedürfnisse zu sorgen hatte, und zweitens davon, dass es genau dieselbe Lebensweise wie seine Eltern befolgte; denn in diesem Falle wird es für die Existenz der Art unabweislich sein, dass das Kind in derselben Weise wie seine Eltern modifiziert wird. Was ferner die merkwürdige Tatsache betrifft, dass so viele Land- und Süsswasserformen keine Metamorphose durchlaufen, während die marinen Glieder derselben Gruppen verschiedene Umgestaltungen erfahren, so hat FRITZ MÜLLER die Vermutung ausgesprochen, dass der Prozess der langsamen Modifikation und Anpassung eines Tieres an ein Leben auf dem Lande oder im Süsswasser, statt im Meere, bedeutend dadurch vereinfacht werden würde, wenn es kein Larvenstadium durchlief; denn es ist nicht wahrscheinlich, dass Plätze im Naturhaushalte, die sowohl für Larven, als für reife Zustände unter so neuen und bedeutend abgeänderten Lebensweisen geeignet wären, von anderen Organismen gar nicht oder schlecht besetzt sein sollten. In diesem Falle würde das allmähliche Erlangen der erwachsenen Struktur auf einem immer frühern und frühern Alter durch die natürliche Zuchtwahl begünstigt, und alle Spuren früherer Metamorphosen würden endlich verloren werden.

Wenn es auf der andern Seite für den Jugendzustand eines Tieres vorteilhaft ist, eine von der elterlichen etwas verschiedene Lebensweise einzuhalten und demgemäss einen etwas abweichenden Bau zu haben, oder wenn es für Larven, die bereits von ihren Eltern abweichen, vorteilhaft ist, noch weiter abzuweichen, so kann nach dem Gesetz der Vererbung in übereinstimmenden Lebenszeiten das Junge oder die Larve durch natürliche Zuchtwahl immer mehr und mehr bis zu jedem denkbaren Grade von seinen Eltern verschieden werden. Verschiedenheiten in den Larven können auch mit den aufeinanderfolgenden Stufen ihrer Entwicklung in Korrelation treten, so dass die Larve auf ihrer ersten Stufe weit von der Larve auf der zweiten Stufe abweicht, wie es bei so vielen Tieren der Fall ist. Auch das Erwachsene kann sich Lagen und Gewohnheiten anpassen, wo ihm Bewegungs-, Sinnes- oder andere Organe nutzlos werden, und in diesem Falle kann man dessen letzte Metamorphose als eine rückschreitende bezeichnen.

Nach den eben gemachten Bemerkungen lässt sich erkennen, wie durch Abänderungen im Bau der Jungen in Übereinstimmung mit einer Vererbung derselben in correspondierenden Altersstufen Tiere dazu gelangen, von dem ursprünglichen Zustande ihrer erwachsenen Erzeuger vollständig verschiedene Entwicklungszustände zu durchlaufen. Die meisten unserer besten Gewährsmänner sind jetzt überzeugt, dass die verschiedenen Larven- und Puppenzustände von Insekten in dieser Weise durch Adaptation und nicht durch Vererbung von einer alten Form aus erlangt worden sind. Der merkwürdige Fall der Sitaris, eines Käfers, welcher gewisse ungewöhnliche Entwicklungsstufen durchläuft, wird erläutern, wie dies zu Stande kommt. So stellt die erste Larvenform, wie es FABRE beschreibt, ein kleines, lebendiges, mit sechs Füssen, zwei langen Antennen und vier Augen versehenes Insekt dar. Diese Larven kriechen in einem Bienenstocke aus; und wenn die Drohnen im Frühjahr aus ihren Verstecken hervorkommen, was sie vor den Weibchen tun, so springen jene Larven auf sie und benutzen dann die Begattung, um auf die weiblichen Bienen zu kriechen. Sobald die letzteren ihre Eier auf den in den Zellen befindlichen Honig legen, hüpft die Käferlarve auf das Ei und verzehrt es. Später erfährt sie eine komplete Veränderung; die Augen verschwinden, die Füsse und Antennen werden rudimentär und sie ernährt sich von Honig. Sie gleicht daher nunmehr den gewöhnlichen Insektenlarven. Endlich unterliegt sie noch weiteren Verwandlungen und erscheint zuletzt als vollkommener Käfer. Wenn nun ein Insekt mit ähnlichen Umgestaltungen wie diese Sitaris der Urerzeuger einer ganzen neuen großen Insektenklasse werden sollte, so würde wahrscheinlich der allgemeine Verlauf der Entwicklung und besonders der der ersten Larvenstände in dieser neuen Klasse sehr verschieden von dem der jetzt existierenden Insekten sein. Und sicher würden die ersten Larvenzustände nicht den frühern Zustand irgend eines erwachsenen und alten Insektes repräsentiert haben.

Auf der andern Seite ist es sehr wahrscheinlich, dass bei vielen Tiergruppen uns die embryonalen oder Larvenzustände mehr oder weniger vollständig die Form des Urerzeugers der ganzen Gruppe in seinem erwachsenen Zustande zeigen. In der ungeheuren Klasse der Krustazeen erscheinen wunderbar von einander verschiedene Formen, wie saugende Parasiten, Cirripeden, Entomostraken und selbst Malakostraken, in ihrem ersten Larvenzustand unter einer ähnlichen Nauplius-Form; und da diese Larven im offenen Meere sich ernähren und leben und nicht irgendwie eigentümlichen Lebensweisen angepasst sind, so ist es, wie auch noch nach anderen von FRITZ MÜLLER angeführten Gründen, wahrscheinlich, dass ein unabhängiges erwachsenes Tier ähnlich einem Nauplius in einer sehr frühern Zeit existiert und später längs mehrerer divergierender Deszendenzreihen die verschiedenen obengenannten großen Krustazeengruppen erzeugt hat. So ist es ferner nach dem, was wir von den Embryonen der Säugetiere, Vögel, Fische und Reptilien wissen, wahrscheinlich, dass diese Tiere die modifizierten Nachkommen irgend eines alten Urerzeugers sind, welcher im erwachsenen Zustande mit Kiemen, einer Schwimmblase, vier flossenartigen Gliedmassen und einem langen Schwanze, alles für das Leben im Wasser passend, versehen war.

Da alle organischen Wesen, welche noch leben oder jemals auf dieser Erde gelebt haben, in einige wenige große Klassen eingeordnet werden können, und da alle Formen innerhalb jeder Klasse, unserer Theorie gemäss, früher durch die feinsten Abstufungen miteinander verkettet gewesen sind, so würde die beste, oder in der Tat, wenn unsere Sammlungen einigermaßen vollständig wären, die einzig mögliche Anordnung derselben die genealogische sein. Gemeinsame Abstammung ist das geheime Band, welches die Naturforscher unter dem Namen natürliches System gesucht haben. Von dieser Annahme aus können wir begreifen, woher es kommt, dass in den Augen der meisten Naturforscher die Bildung des Embryos für die Klassifikation selbst noch wichtiger als die des Erwachsenen ist. Tiere zweier oder mehrerer Gruppen mögen jetzt im erwachsenen Zustande in Bau und Lebensweise noch so verschieden von einander sein: wenn sie gleiche oder ähnliche Embryonalzustände durchlaufen, so dürfen wir uns überzeugt halten, dass beide von denselben Eltern abstammen und deshalb nahe verwandt sind. So verrät Übereinstimmung in der Embryonalbildung gemeinsame Abstammung; aber Unähnlichkeit in der Embryonalentwicklung beweist noch nicht eine verschiedene Abstammung, denn in einer von zwei Gruppen können die Entwicklungsstufen unterdrückt oder durch Anpassung an neue Lebensweisen so stark modifiziert worden sein, dass man sie nicht wieder erkennen kann. Selbst in Gruppen, in welchen die Erwachsenen im äußersten Grade modifiziert worden sind, wird die Gemeinsamkeit der Abstammung oft durch die Struktur der Larven enthüllt; wir haben z.B. gesehen, dass die Cirripeden, obschon sie äußerlich den Muscheln so ähnlich sind, an ihren Larven sogleich als zur großen Klasse der Kruster gehörig erkannt werden können. Da der Bau des Embryo uns im Allgemeinen mehr oder weniger deutlich den Bau ihrer alten noch wenig modifizierten Stammform überliefert, so sehen wir auch ein, warum alte und erloschene Lebensformen so oft den Embryonen der heutigen Arten derselben Klasse gleichen. AGASSIZ hält dies für ein allgemeines Naturgesetz; und wir dürfen hoffen, es später noch bestätigt zu sehen. Es lässt sich indessen nur in denjenigen Fällen beweisen, wo der alte Zustand des Erzeugers der Gruppe weder durch successive in einer frühern Wachstumsperiode erfolgte Abänderungen noch durch Vererbung derartiger Abweichungen auf ein früheres Lebensalter, als worin sie ursprünglich aufgetreten sind, verwischt worden ist. Auch ist zu erwähnen, dass das Gesetz ganz wahr sein und doch, weil sich die geologische Urkunde nicht weit genug rückwärts erstreckt, noch auf lange hinaus oder für immer unbeweisbar bleiben kann. In denjenigen Fällen wird das Gesetz nicht gelten, in denen eine alte Form in ihrem Larvenzustand irgend einer speziellen Lebensweise angepasst wurde und denselben Larvenzustand einer ganzen Gruppe von Nachkommen überlieferte; denn diese werden in ihrem Larvenzustand dann keiner noch ältern Form im erwachsenen Zustande gleichen.

So scheinen sich mir die leitenden Tatsachen in der Embryologie, welche an Wichtigkeit keinen anderen nachstehen, aus dem Prinzip zu erklären, dass Modifikationen in der langen Reihe von Nachkommen eines frühen Urerzeugers nicht in einem sehr frühen Lebensalter eines jeden derselben erschienen und in einem entsprechenden Alter vererbt worden sind. Die Embryologie gewinnt sehr an Interesse, wenn wir uns so den Embryo als ein mehr oder weniger verblichenes Bild der gemeinsamen Stammform, entweder in ihrer erwachsenen oder Larvenform, aller Glieder derselben großen Tierklasse vorstellen.


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