Süsswasserformen.
Verbreitung der Süsswasserbewohner


Da Seen und Flusssysteme durch Schranken von Festland von einander getrennt werden, so möchte man glauben, dass Süsswasserbewohner nicht im Stande gewesen wären, sich innerhalb eines und desselben Landes weit zu verbreiten und, da das Meer offenbar eine noch weniger überschreitbare Schranke ist, dass sie sich niemals in entfernte Länder hätten verbreiten können. Und doch verhält sich die Sache gerade entgegengesetzt. Nicht allein haben viele Süsswasserspezies aus ganz verschiedenen Klassen eine ungeheuer weite Verbreitung, sondern einander nahe verwandte Formen herrschen auch in auffallender Weise über die ganze Erdoberfläche vor. Ich erinnere mich noch sehr wohl der Überraschung, die ich fühlte, als ich zum ersten Male in Brasilien Süsswasserformen sammelte und die Süsswasserinsekten, Muscheln u.s.w. den englischen so ähnlich und die umgebenden Landformen jenen so unähnlich fand.

Doch kann dieses Vermögen weiter Verbreitung bei den Süsswasserbewohnern in den meisten Fällen, wie ich glaube, daraus erklärt werden, dass sie in einer für sie sehr nützlichen Weise von Teich zu Teich und von Strom zu Strom kurze und häufige Wanderungen anzustellen fähig gemacht worden sind: aus welcher Fähigkeit sich dann die Neigung zu weiter Verbreitung als eine fast notwendige Folge ergeben dürfte. Doch können wir hier nur wenige Fälle in Betracht ziehen; von diesen bieten Fische einige der am schwierigsten zu erklärenden dar. Man glaubte früher, dass eine und dieselbe Süsswasserspezies niemals auf zwei weit von einander entfernten Kontinenten vorkommen könne. Dr. GÜNTHER hat aber vor Kurzem gezeigt, dass der Galaxias attenuatus Tasmanien, Neu-Seeland, die Falkland-Inseln und das Festland von Süd-Amerika bewohnt. Dies ist ein wunderbarer Fall, welcher wahrscheinlich auf eine Verbreitung von einem antarktischen Zentrum aus während einer früheren warmen Periode hinweist. Indess wird dieser Fall dadurch zu einem etwas weniger überraschenden, als die Arten dieser Gattung das Vermögen haben, durch irgend welche unbekannte Mittel große Strecken offenen Meeres zu überschreiten; so findet sich eine Spezies, welche Neu-Seeland und den Auckland-Inseln gemeinsam zukommt, trotzdem sie durch eine Entfernung von ungefähr 230 Meilen (engl.) von einander getrennt sind. Oft verbreiten sich Süsswasserfische auf dem nämlichen Festlande weit und in beinahe launischer Weise, so dass zwei Flusssysteme einen Teil ihrer Fische miteinander gemein, einen andern verschieden haben können. Wahrscheinlich werden sie gelegentlich durch Mittel transportiert, die man zufällige nennen kann. So werden nicht selten Fische von Wirbelwinden durch die Luft entführt, wonach sie als Fischregen wieder zur Erde gelangen; und es ist bekannt, dass die Eier ihre Lebensfähigkeit noch eine beträchtliche Zeit nach ihrer Entfernung aus dem Wasser bewahren. Doch dürfte die Verbreitung der Süsswasserfische vorzugsweise Höhenwechseln des Landes während der gegenwärtigen Periode zuzuschreiben sein, welche die Ursache wurden, dass manche Flüsse ineinander flossen. Auch lassen sich Beispiele anführen, dass dies ohne Veränderungen in den wechselseitigen Höhen durch Überschwemmungen bewirkt worden ist. Die große Verschiedenheit zwischen den Fischen auf den entgegengesetzten Seiten von Gebirgsketten, die kontinuierlich sind und folglich schon seit früher Zeit die Ineinandermündung der beiderseitigen Flusssysteme vollständig gehindert haben müssen, führt zum nämlichen Schlusse. Einige Süsswasserfische stammen von sehr alten Formen ab, und in solchen Fällen wird die Zeit weitaus hingereicht haben zu großen geographischen Veränderungen, jene Formen werden folglich auch Zeit und Mittel gefunden haben, sich durch weite Wanderungen zu verbreiten. Überdies ist Dr. GÜNTHER neuerdings durch verschiedene Betrachtungen zu dem Schlusse veranlasst worden, dass bei Fischen die gleichen Formen eine lange Dauer besitzen. Salzwasserfische können bei sorgfältigem Verfahren langsam ans Leben im Süsswasser gewöhnt werden, und nach VALENCIENNES gibt es kaum eine gänzlich auf Süsswasser beschränkte Fischgruppe, so dass wir uns vorstellen können, eine marine Form einer übrigens dem Süsswasser angehörigen Gruppe wandere weit der Seeküste entlang und werde später abgeändert und endlich in Süsswassern eines entlegenen Landes zu leben befähigt.

Einige Arten von Süsswasser-Konchylien haben eine sehr weite Verbreitung, und verwandte Arten, die nach meiner Theorie von gemeinsamen Arten abstammen und mithin aus einer einzigen Quelle hervorgegangen sind, walten über die ganze Erdoberfläche vor. Ihre Verbreitung setzte mich anfangs sehr in Verlegenheit, da ihre Eier nicht zur Fortführung durch Vögel geeignet sind und wie die Tiere selbst durch Seewasser sofort getödtet werden. Ich konnte selbst nicht begreifen, wie es komme, dass einige naturalisierte Arten sich so schnell über ein und dasselbe Gebiet verbreitet haben. Doch haben zwei von mir beobachtete Tatsachen — und viele andere werden zweifelsohne noch entdeckt werden — einiges Licht über diesen Gegenstand verbreitet. Wenn eine Ente sich plötzlich aus einem mit Wasserlinsen bedeckten Teiche erhebt, so bleiben leicht, wie ich zweimal gesehen habe, einige dieser kleinen Pflanzen an ihrem Rücken hängen, und es ist mir selbst passiert, dass, als ich einige Wasserlinsen aus einem Aquarium ins andere versetzte, ich ganz absichtslos das letztere mit Süsswassermollusken des erstern bevölkerte. Doch ist ein anderer Umstand vielleicht noch wirksamer. Ich hängte einen Entenfuss in einem Aquarium auf, wo viele Eier von Süsswasserschnecken auszukriechen im Begriffe waren, und fand, dass bald eine große Menge der äußerst kleinen ausgeschlüpften Schnecken an dem Fuß umherkrochen und sich so fest anklebten, dass sie von dem herausgenommenen Fuß nicht abgeschabt werden konnten, obwohl sie in einem etwas mehr vorgeschrittenen Alter freiwillig davon abfallen würden. Diese frisch ausgeschlüpften Mollusken, obschon zum Wohnen im Wasser bestimmt, lebten an dem Entenfusse in feuchter Luft wohl 12-20 Stunden lang, und während dieser Zeit kann eine Ente oder ein Reiher wenigstens 600-700 englische Meilen weit fliegen, um sich dann sicher wieder in einem Sumpfe oder Bache niederzulassen, wie sie von einem Sturm übers Meer hin auf eine ozeanische Insel oder auf einen andern entfernten Punkt verschlagen werden können. Auch erzählt mir Sir CH. LYELL, dass man einen Wasserkäfer (Dytiscus) mit einer ihm fest ansitzenden Süsswasser-Napfschnecke (Ancylus) gefangen hat; und ein anderer Wasserkäfer derselben Familie aus der Gattung Colymbetes kam einmal an Bord des Beagle geflogen, als dieser 45 englische Meilen vom nächsten Lande entfernt war; wie viel weiter er aber mit einem günstigen Winde noch gekommen sein würde, vermag Niemand zu sagen.

Was die Pflanzen betrifft, so ist es längst bekannt, was für eine ungeheure Ausbreitung manche Süsswasser- und selbst Sumpfgewächse auf den Festländern und bis zu entferntesten ozeanischen Inseln besitzen. Dies ist nach ALPH. DE CANDOLLE's Bemerkung am deutlichsten in solchen großen Gruppen von Landpflanzen zu ersehen, aus welchen nur einige Glieder aquatisch sind, denn diese letzten pflegen, als wäre es in Folge dessen, sofort eine viel größere Verbreitung als die übrigen zu erlangen. Ich glaube, günstige Verbreitungsmittel erklären diese Erscheinung. Ich habe vorhin die Erdteilchen erwähnt, welche gelegentlich an Schnäbeln und Füssen der Vögel hängen bleiben. Sumpfvögel, welche die schlammigen Ränder der Sümpfe aufsuchen, werden meistens schmutzige Füsse haben, wenn sie plötzlich aufgescheucht werden. Nun wandern gerade Vögel dieser Ordnung mehr als die irgend einer andern und zuweilen werden sie auf den entferntesten und ödesten Inseln des offenen Weltmeeres angetroffen. Sie werden sich nicht leicht auf der Oberfläche des Meeres niederlassen, wo der noch an ihren Füssen hängende Schlamm abgewaschen werden könnte; und wenn sie ans Land kommen, werden sie gewiss alsbald ihre gewöhnlichen Aufenthaltsorte an den Süsswassern aufsuchen. Ich glaube nicht, dass die Botaniker wissen, wie beladen der Schlamm der Teiche mit Pflanzensamen ist; ich habe jedoch einige kleine Versuche darüber gemacht, will aber hier nur den auffallendsten Fall mitteilen. Ich nahm im Februar drei Esslöffel voll Schlamm von drei verschiedenen Stellen unter Wasser, am Rande eines kleinen Teiches. Dieser Schlamm wog getrocknet nur 6 3/4 Unzen. Ich bewahrte ihn sodann in meinem Arbeitszimmer bedeckt sechs Monate lang auf und zählte und riss jedes aufkeimende Pflänzchen aus. Diese Pflänzchen waren von mancherlei Art und ihre Zahl betrug im Ganzen 537; und doch war all' dieser zähe Schlamm in einer einzigen Obertasse enthalten. Diesen Tatsachen gegenüber würde es nun, meine ich, geradezu unerklärbar sein, wenn es nicht mitunter vorkäme, dass Wasservögel die Samen von Süsswasserpflanzen in weite Fernen verschleppten und nach unbevölkerten Teichen und Strömen brächten. Und dasselbe Mittel mag hinsichtlich der Eier einiger kleiner Süsswassertiere in Wirksamkeit kommen.

Auch noch andere und jetzt noch unbekannte Kräfte mögen dabei ihren Teil haben. Ich habe oben gesagt, dass Süsswasserfische manche Arten Sämereien fressen, obwohl sie viele andere Arten, nachdem sie sie verschlungen haben, wieder auswerfen; selbst kleine Fische verschlingen Samen von mäßiger Größe, wie die der gelben Wasserlilie und des Potamogeton. Reiher und andere Vögel sind Jahrhundert nach Jahrhundert täglich auf den Fischfang ausgegangen; wenn sie sich dann erheben, suchen sie oft andere Wässer auf oder werden auch zufällig übers Meer getrieben; und wir haben gesehen, dass Samen oft ihre Keimkraft noch besitzen, wenn sie in Gewölle, in Exkrementen u. dergl. viele Stunden später wieder ausgeworfen werden. Als ich die großen Samen der herrlichen Wasserlilie, Nelumbium, sah und mich dessen erinnerte, was ALPHONSE DE CANDOLLE über die Verbreitung dieser Pflanze gesagt hat, so meinte ich, ihre Verbreitung müsse ganz unerklärbar sein. Doch versichert AUDUBON, Samen der großen südlichen Wasserlilie (nach Dr. HOOKER wahrscheinlich das Nelumbium luteum) im Magen eines Reihers gefunden zu haben. Obwohl es mir nun als Tatsache nicht bekannt ist, so schließe ich doch aus der Analogie, dass, wenn ein Reiher in einem solchen Falle nach einem andern Teiche flöge und dort eine herzhafte Fischmahlzeit zu sich nähme, er wahrscheinlich aus seinem Magen wieder einen Ballen mit noch unverdautem Nelumbiumsamen auswerfen würde.

Bei Betrachtung dieser verschiedenen Verbreitungsmittel muss man sich noch erinnern, dass, wenn ein Teich oder Fluss z.B. auf einer sich hebenden Insel zuerst entsteht, er noch nicht bevölkert ist und ein einzelnes Sämchen oder Eichen gute Aussicht auf Fortkommen hat. Obschon ein Kampf ums Dasein zwischen den Individuen der wenn auch noch so wenigen Arten, die bereits in einem Teiche beisammen leben, immer eintreten wird, so wird in Betracht, dass die Zahl der Arten selbst in einem gut bevölkerten Teiche im Vergleich mit den ein gleiches Stück Land bewohnenden Arten gering ist, die Konkurrenz auch wahrscheinlich zwischen Wasserformen minder heftig als zwischen den Landbewohnern sein; ein neuer Eindringling aus den Wässern eines fremden Landes würde folglich auch mehr Aussicht haben eine Stelle zu erobern, als ein neuer Kolonist auf dem trockenen Lande. Auch dürfen wir nicht vergessen, dass viele Süsswasserbewohner tief auf der Stufenleiter der Natur stehen; und wir können mit Grund annehmen, dass solche niedrig organisierte Wesen langsamer als die höher ausgebildeten abändern oder modifiziert werden, demzufolge dann ein und die nämliche Art wasserbewohnender Organismen lange wandern kann. Wir müssen auch der Wahrscheinlichkeit gedenken, dass viele süsswasserbewohnende Spezies, nachdem sie früher über ungeheure Flächen in zusammenhängender Weise verbreitet waren, in den mittleren Gegenden derselben erloschen sein können. Aber die weite Verbreitung der Pflanzen und niederen Tiere des Süsswassers, mögen sie nun ihre ursprüngliche Formen unverändert bewahren oder in gewissem Grade modifiziert worden sein, hängt allem Anscheine nach hauptsächlich von der weiten Verbreitung ihrer Samen und Eier durch Tiere und zumal durch Süsswasservögel ab, welche bedeutende Flugkraft haben und natürlicher Weise von einem Gewässer zum andern wandern.


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