Dissonanz - (Definition)


Dissonanz. (Musik) Nach dem Ursprung des Wortes bedeutet es einen Klang, in dem man zwei sich nicht sanft genug vereinigende Töne unterscheiden kann; also einen Klang, dem es an gehöriger Harmonie fehlt oder das Gegenteil der Konsonanz. Wie aber das Konsonieren nichts absolutes ist, sondern von der vollkommenen Harmonie zweier im Unisonus gestimmten Saiten allmählich abnimmt, bis man endlich zwischen den zwei Tönen mehr einen Streit als eine Übereinstimmung empfindet; so lässt sich nicht mit Genauigkeit sagen, wo das Konsonieren zweier Töne aufhöre und das Dissoniren anfange, wie bereits im Art. Konsonanz erinnert worden ist.

Damit die für die Musik wichtige Materie von den Dissonanzen deutlich und gründlich abgehandelt werde, soll zunächst der Begriff der Dissonanz, so genau als es sich tun lässt, fest gesetzt, danach die in der heutigen Musik vorkommenden Dissonanzen angezeigt, zuletzt aber, wie dieselben zu brauchen und zu behandeln sind, gelehrt werden.

So wie die Harmonie oder das Konsonieren aus einer solchen Übereinstimmung zweier Töne entsteht, die sie in einen Klang vereinigen, in dem man die Verschiedenheit der Töne ohne Widrigkeit fühlt, so entsteht das Dissonieren aus einer gewaltsamen Vereinigung zweier Töne, die einander zuwiderstreiten scheinen. Man merkt nicht nur die Verschiedenheit der beiden Töne in dem Klang, sondern zugleich etwas widriges, das ihrer Vereinigung entgegen ist. Dabei ist dieses offenbar zu fühlen, dass diese Widrigkeit zunimmt, je näher die beiden Töne in Ansehung ihrer Höhe an einander kommen. Nur wenn sie sich so nahe kommen, dass man sie für einerlei hält, so wird das Dissonieren in ein völliges Harmonieren verwandelt.

Lässt sich hieraus nicht abnehmen, dass das Dissonieren aus etwas Widersprechendem in der Empfindung entstehe? Wenn diejenige Dissonanz die widrigste ist, in welcher die beiden Töne in Ansehung der Höhe nur wenig aus einander sind, so scheint es, dass das Urteil gelenkt werde, sie für einerlei zu halten, da die Empfindung das Gegenteil fühlen und in sofern in dem Klang eine Unvollkommenheit empfinden lässt. Darin scheint das Dissonieren etwas Ähnliches mit der Widrigkeit zu haben, die wir allemal bei den Sachen empfinden, die das nicht sind, was sie nach unserm Urteil sein sollen.

Man kann für gewiss annehmen, dass wir die verschiedenen Höhen der Töne eben so klar empfinden als wir die Verschiedenheit in der Länge an neben einander liegenden Linien sehen. Darin liegt der Grund der gar nicht neuen Beobachtung, dass man die Konsonanzen und Dissonanzen aus dem Verhältnis der Töne beurteilen könne. Wie wir nun bei zwei neben einander liegenden Linien mit Leichtigkeit entdecken, dass die eine nur die Hälfte oder zwei Drittel oder drei Viertel der anderen sei und indem wir dieses entdecken, uns gar leicht beide in einer vereinigt und dennoch jede besonders und in bestimmter Verhältnis gegen die andere vorstellen können, so ist es auch mit den konsonierenden Tönen beschaffen. So bald aber zwei neben einander liegende Linien beinahe gleich groß sind, so dass wir die Länge, um welche die eine die andere übertrifft, gegen das Ganze nicht mehr abmessen, und also nicht sagen können, die kürzere sei um 1/4 oder 1/5 oder 1/6 kleiner, als die längere, so sind wir geneigt zu urteilen, sie sollten gleich sein, dann macht der offenbare Augenschein, dass sie es nicht sind, eine widrige Wirkung auf uns. Wenn diese Bemerkungen wahr sind und sie scheinen es in der Tat zu sein, so folgt daraus, dass das Dissonieren zweier Töne eigentlich darin liegt, dass man in dem aus beiden zusammengesetzten Klang etwas widersprechendes empfindet und einer der beiden Töne das nicht ist, was er einem dunkeln Urteil nach sein sollte. Indem wir C und D zwei nahe an einander liegende Töne zugleich hören, so entsteht aus ihrer nahen Übereinkunft das dunkle Urteil, dass sie gleich hoch sein sollten; die Empfindung aber widerspricht diesem Urteil. Dieses empfinden wir noch lebhafter, wenn wir C und Cis zugleich hören, weil das Urteil, dass beide einerlei Ton sein sollten, noch gewisser wird.

Es zeigt sich hierbei noch ein Umstand, der diese Mutmaßungen merklich bestätigt. Man kann ohne irgendetwas widriges zu empfinden, die ganze diatonische Tonleiter C, D, E, F, G, A, H, c, herauf und herunter singen, ohne das geringste widrige darin zu empfinden. Warum haben zwei nahe an einander liegende Töne C und D, wenn sie auf einander folgen, nichts Widriges und warum haben sie es nur, wenn sie zugleich gehört werden? Ist es nicht deswegen, weil man im ersten Falle gleich merkt, dass es verschiedene Töne sein sollen; im anderen aber urteilt, sie sollten einerlei sein? Hieraus aber würde die Erklärung, die wir vom Dissonieren gegeben haben, ihre völlige Bestätigung bekommen.

Ohne Zweifel fällt jedem, der dieses ließt, dabei diese Folge ein, dass nach dieser Erklärung keine Töne gegen einander dissonieren als die, welche um weniger als eine Terz aus einander sind, weil bekannt ist, dass die Terz nichts Widriges mehr hat. Hieraus wird man einen Einwurf gegen unsere Erklärung des Dissonierens machen. Man wird sagen, dass verschiedene von allen Harmonisten für Dissonanzen erkannte Intervalle vorkommen, die größer sind als die Terz, wie die falsche Quinte, die Septime und die None, die unmöglich deswegen widrig klingen, weil man sie mit dem Grundtone, mit dem sie zugleich klingen, für einerlei zu halten versucht wird.

Dieser Einwurf lässt sich leicht heben. Man muss nur die Beobachtung vor Augen haben, dass jeder Grundton auch das Gefühl seiner Oktave, und, wiewohl etwas weniger merklich, seiner Quinte erweckt. Die Septime dissoniert nicht gegen den Grundton, sondern gegen die Oktave, der sie zu nahe liegt. Aus eben diesem Grunde wird die Quarte, die sonst alle Eigenschaften einer vollkommenen Konsonanz hat, verdächtig, weil sie der Quinte zu nahe kommt. Warum dieses bei der Sexte, die der Quinte eben so nahe liegt, nicht geschehe, ist freilich nicht klar genug. Vielleicht vermag die schöne Harmonie der Quarte, welche die Sexte vom Grundtone mit der Terz desselben macht, dass das, ohnedem nicht starke, Gefühl der Quinte noch mehr verdunkelt wird und die Sexte also nichts Widriges hat. Dieses sei von der Natur der Dissonanz gesagt.

Es folgt hieraus, 1) dass jedes Intervall, das um weniger als eine Terz vom Grundton oder dessen Oktave absteht, dissoniere. 2) Dass ohne Rücksicht auf den Grundton oder dessen Oktave zwei Töne, die um weniger als eine Terz aus einander liegen, wenn gleich jeder für sich mit dem Grundton konsoniert, dennoch unter sich dissonieren.

Aus dem ersten Schlusse erkennen wir, dass die Sekunden und Septimen des Grundtons, in Absicht auf diese und auf seine Oktave, die eigentlichen Dissonanzen seien; aus dem zweiten aber, dass, wo Terz und Quart, Quint und Sexte zugleich vorkommen, wenn sie gleich beide gegen den Grundton oder seine Oktave konsonieren, eine von beiden eine Dissonanz sei. Tut man nun noch hinzu, dass jeder Ton, der das lebhafte Gefühl einer mit dem Grundton enge verbundenen Konsonanz erweckt, der er selbst sehr nahe liegt, gegen diese dissoniere, so begreift man auch deutlich, warum die falsche Quinte dissoniert; weil sie nämlich das Gefühl der wahren Quinte erweckt.

 


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