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Der Unbekannte

Vom Dorfe schon die Abendglocken klangen,
Die müden Vöglein gingen auch zur Ruh,
Nur auf den Wiesen noch die Heimchen sangen
Und von den Bergen rauscht’ der Wald dazu;
Da kam ein Wandrer durch die Ährenwogen,
Aus fernen Landen schien er hergezogen.

Vor seinem Hause, unter blühnden Lauben
Lud ihn ein Mann zum fröhl’chen Rasten ein,
Die junge Frau bracht Wein und Brot und Trauben,
Setzt dann, umspielt vom letzten Abendschein,
Sich neben ihn und blickt halb scheu, halb lose,
Ein lockig Knäblein lächelnd auf dem Schoße.

Ihr dünkt, er wär schon einst im Dorf gewesen,
Und doch so fremd und seltsam war die Tracht,
In seinen Mienen feur’ge Schrift zu lesen
Gleich Wetterleuchten fern bei stiller Nacht,
Und traf sein Auge sie, wollt ihr fast grauen,
Denn ’s war, wie in den Himmelsgrund zu schauen.

Und wie sich kühler nun die Schatten breiten:
Vom Berg Vesuv, der über Trümmern raucht,
Vom blauen Meer, wo Schwäne singend gleiten,
Kristallnen Inseln, blühend draus getaucht,
Und Glocken, die im Meeresgrunde schlagen,
Wußt wunderbar der schöne Gast zu sagen.

"Hast viel erfahren, willst du ewig wandern?"
Sprach drauf sein Wirt mit herzlichem Vertraun,
"Hier kannst du froh genießen wie die andern,
Am eignen Herd dein kleines Gärtchen baun,
Des Nachbars Töchter haben reiche Truhen
Ruh endlich aus, brauchst nicht allein zu ruhen."

Da stand der Wandrer auf, es blühten Sterne
Schon aus dem Dunkel überm stillen Land,
"Gesegn euch Gott! mein Heimatland liegt ferne. -"
Und als er von den beiden sich gewandt,
Kam himmlisch Klingen von der Waldeswiese —
So sternklar war noch keine Nacht wie diese.