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Abteilung VII.
 
Über den Begriff der notwendigen Verknüpfung.
Abschnitt I.

 

Viele Philosophen halten sich deshalb aus Vernunftgründen verpflichtet, für alle Fälle dasselbe Prinzip aufzunehmen, was die grosse Masse nur bei wunderbaren und übernatürlichen zu Hülfe ruft. Sie nehmen an, dass die Vernunft und der Geist nicht allein die letzte und ursprüngliche Ursache aller Dinge sei, sondern auch die unmittelbare und einzige Ursache von jedem natürlichen Ereigniss. Sie behaupten, dass die Dinge, welche man gewöhnlich Ursachen nennt, in Wahrheit nur Gelegenheiten sind, und dass das wahre und unmittelbare Prinzip jeder Wirkung nicht eine Kraft oder Macht in der Natur, sondern ein Wollen des höchsten Wesens ist, welches bestimmt, dass solche besondere Gegenstände für immer mit einander verbunden sein sollen. Anstatt zu sagen, dass eine Billardkugel die andere durch eine von dem Urheber der Natur überkommene Kraft bewegt, ist es nach ihnen die Gottheit selbst, welche durch ein besonderes Wollen die zweite Kugel bewegt, indem sie zu dieser Handlung durch den Stoss der ersten Kugel bestimmt wird, und zwar in Folge der allgemeinen Gesetze, welchen sie sich selbst in ihrer Regierung der Welt unterworfen hat. Indess bemerken Philosophen, die in ihren Untersuchungen weiter gehen bald, dass so wenig, wie die Kraft bekannt ist, durch welche Körper auf einander wirken, es ebensowenig die Kraft ist, von welcher die Wirksamkeit der Seele auf den Körper und des Körpers auf die Seele abhängt. Man kann weder durch äussere noch innere Wahrnehmung das letzte Prinzip in dem einen Falle näher angeben als in dem andern. Die gleiche Unwissenheit treibt zu der gleichen Folgerung. Jene behaupten, dass die Gottheit die unmittelbare Ursache der Verbindung von Seele und Leib ist. Nicht die Sinnesorgane sollen durch ihre Erregung von äusseren Gegenständen die Empfindung in der Seele hervorbringen, sondern ein besonderes Wollen unseres allmächtigen Schöpfers, welcher in Folge einer solchen Erregung des Organs eine solche Empfindung erweckt. Ebenso ist es nicht die Willenskraft, welche die örtliche Bewegung der Glieder veranlasst, sondern Gott selbst, welchem es beliebt, unser an sich ohnmächtiges Wollen zu unterstützen und jene Bewegung zu gebieten, die man irrttümlich der eigenen Kraft und Wirksamkeit zuschreibt. Auch begnügen sich die Philosophen nicht mit dieser Annahme; sie dehnen zum Teil diesen Einfluss auf die inneren Vornahmen der Seele aus. Unsere geistigen Anschauungen oder Begriffe sollen nur eine Offenbarung sein, welche der Schöpfer uns macht. Wenn wir freiwillig unsere Gedanken auf einen Gegenstand richten und sein Bild in das Wissen aufnehmen, so soll nicht der Wille diesen Begriff erzeugen, sondern der Schöpfer der Welt, welcher ihn der Seele enthüllt und vergegenwärtigt.

So ist nach diesen Philosophen jedes Ding von Gott erfüllt. Sie begnügen sich nicht mit dem Ausspruch, dass Alles nur durch seinen Willen, und die Kraft nur durch seine Zulassung besteht; sie nehmen auch der Natur und allen erschaffenen Wesen jede Macht, um ihre Abhängigkeit von Gott noch ersichtlicher und unmittelbarer zu machen. Sie bedenken nicht, dass sie durch diese Lehre die Größe jener Eigenschaften, die sie so hoch erheben wollen, vielmehr verkleinern statt vergrößern. Denn es zeigt offenbar mehr Kraft in der Gottheit an, wenn sie einen gewissen Grad von Kraft den niederen Wesen überweist, als wenn sie Alles durch ihren unmittelbaren Willen vollbringt. Es zeigt mehr Weisheit, wenn der Bau der Welt mit so vollkommener Voraussicht eingerichtet ist; dass sie von selbst und durch ihre eigene Tätigkeit den Zwecken der Vorsehung dient, als wenn der Schöpfer jeden Augenblick genötigt ist, ihre Teile zurecht zu stellen und durch seinen Atem alle Räder dieser ungeheueren Maschine zu beseelen. Verlangt man indes eine mehr philosophische Widerlegung dieser Lehre, so werden vielleicht die zwei folgenden Erwägungen genügen.

Erstlich scheint es mir, dass diese Lehre von der allgemeinen Wirksamkeit und Beihilfe des höchsten Wesens zu plump ist, um Jemand zu überzeugen, welcher die Schwäche der menschlichen Vernunft und die engen Grenzen, in die sie bei ihrer Tätigkeit eingeschlossen ist, genügend erkannt hat. Wenn auch die zu dieser Lehre führende Schlusskette noch so logisch wäre, so kann man doch meinen, wenn nicht geradezu behaupten, dass sie uns weit über das Gebiet unserer Fähigkeiten hinausführt, insofern sie zu so außerordentlichen und vom gewöhnlichen Leben und Erfahrungen so weit abliegenden Schlüssen leitet. Wir sind schon in das Feenland noch vor den letzten Schritten dieser Lehre eingetreten, und da kann unseren gewöhnlichen Beweis-Methoden nicht mehr vertraut werden; unsere gewöhnlichen Analogien und Wahrscheinlichkeiten haben da keine Geltung. Die Leine des Senkbleisist zu kurz, um den Boden eines so unendlichen Abgrundes zu erreichen. Wenn man sich auch schmeichelt, dass eine gewisse Wahrscheinlichkeit und Erfahrung den Führer bei jedem Schritt, den man tut, abgibt, so hat doch diese vermeintliche Erfahrung sicherlich bei Gegenständen keine Geltung, welche überhaupt außerhalb des Kreises der Erfahrung liegen. Wir werden später hierauf zurückkommen. [In Abschnitt XII.]

Zweitens kann ich die Beweise, auf welche diese Lehre sich stützt, nicht als überzeugend anerkennen. Wir kennen allerdings nicht die Art, in welcher Körper auf einander wirken; ihre Kraft und Wirksamkeit ist uns ganz unverständlich; aber ist uns die Art und Kraft nicht ebenso unbekannt, wodurch ein Geist, und selbst der höchste Geist, auf sich oder einen Körper wirkt? Ich frage, woher nehmen wir die Vorstellung davon? In uns haben wir keine Empfindung oder Bewusstsein von dieser Kraft. Wir wissen von dem höchsten Wesen nur, was wir durch die Rücksicht auf die eigenen Vermögen von diesen ableiten. Wäre daher unsere Unwissenheit ein genügender Grund, um Alles zurückzuweisen, so würde man eher auf das Prinzip kommen, alle Wirksamkeit ebenso bei dem höchsten Wesen, wie bei dem gröbsten Stoff zu leugnen; denn wir verstehen die Wirksamkeit des Einen so wenig, wie die des Andern. Ist es schwerer, sich vorzustellen, dass die Bewegung vom Stoße entspringt, als dass sie vom Wollen entspringt? Alles, was wir wissen, ist nur unsere gänzliche Unwissenheit in beiden Fällen.*

 

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*Es bedarf endlich einer Untersuchung der Vis inertiae (Trägheitskraft), die dem Stoffe beigelegt, und von der in der neuen Philosophie so viel gesprochen wird. Man lernt aus Erfahrung, dass ein Körper in Ruhe oder in Bewegung seinen Zustand beibehält, bis er durch eine neue Ursache eine Änderung erleidet, und dass ein gestoßener Körper dem stoßenden Körper so viel Kraft entzieht, als er selbst empfängt. Dies sind Tatsachen. Nennt man dies eine Vis inertiae, so bezeichnet man damit nur die Tatsachen, ohne einen Begriff von dieser trägen Kraft zu bieten. Man spricht ebenso von der Schwere und meint damit gewisse Vorgänge, ohne die tätige Kraft zu kennen. Es war nicht die Meinung Isaac Newtons, den mittelbaren Ursachen alle Kraft und Wirksamkeit abzusprechen, obgleich mehrere von seinen Schülern eine solche Lehre auf sein Ansehen zu stützen versuchten. Dieser große Philosoph nahm im Gegenteil ein ätherisches wirksames Fluidum zu Hülfe, um seine allgemeine Anziehung zu erläutern; obgleich er in seiner Vorsicht und Bescheidenheit anerkannte, dass dies eine bloße Hypothese sei, bei der man, ohne weitere Versuche, sich nicht beruhigen dürfe. Über die Ansichten waltet manchmal ein wunderbares Schicksal Descartes bot die Lehre von der allgemeinen und ausschließlichen Wirksamkeit Gottes, ohne darauf bestehen zu wollen. Malebranche und andere Cartesianer nahmen sie zur Grundlage ihrer ganzen Philosophie. Sie gewann indes in England keine Gültigkeit. Locke, Clarke und Cudworth beachten sie nicht, sondern nehmen sämtlich an, dass der Stoff eine wirkliche, obgleich untergeordnete und abgeleitete Kraft hat. Wodurch ist also diese vis inertiae zu solcher Bedeutung bei unseren modernen Metaphysikern gelangt?

 


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