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Abteilung XI.
 
Über die besondere Vorsehung und ein zukünftiges Leben.

 

Wenn Priester und Dichter durch Euer Ansehn, o Athenienser! unterstützt, vom goldenen oder silbernen Zeitalter sprechen, welches dem jetzigen Zustand von Laster und Elend vorhergegangen sei, so höre ich auf sie mit Aufmerksamkeit und Ehrfurcht; wenn aber Philosophen, welche das Ansehn der Person nicht gelten lassen wollen und die Vernunft verehren, dieselbe Sprache führen, so zolle ich ihnen, wie ich einräume, nicht dieselbe gehorsame Unterwürfigkeit und fromme Hochachtung. Ich frage, was sie in diese himmlischen Regionen geführt hat; wer sie in den Rat der Götter zugelassen hat; wer ihnen das Buch des Schicksals geöffnet hat, um so voreilig versichern zu können, dass ihre Gottheiten ein Ziel über das wirklich Wahrgenommene hinaus vollführt haben oder vollführen werden. Wenn sie mir sagen, dass sie mittelst der Stufen oder allmählichen Erhebung der Vernunft und durch Rückschlüsse von den Wirkungen auf Ursachen zu dieser Höhe aufgestiegen sind, so beharre ich dabei, dass sie die Erhebung der Vernunft mit den Flügeln der Phantasie unterstützt haben; sonst hätten sie nicht in dieser Art ihre Folgerungen ändern und von Ursachen zu Wirkungen übergehn können. Sie setzten voraus, dass ein vollkommneres Werk, als die jetzige Welt, solchen vollkommnen Wesen wie den Göttern mehr entspreche, und vergassen, dass sie diesen himmlischen Wesen keine Vollkommenheit oder Eigenschaft beilegen dürfen, die nicht in der jetzigen Welt gefunden wird.

Daher kommt all der fruchtlose Eifer, die schädlichen Erscheinungen der Natur zu rechtfertigen und die Ehre der Götter zu retten, während wir doch das Dasein dieser Übel und Unordnung, von denen die Welt überfliesst, anerkennen müssen. Man sagt uns, dass die widerspenstigen und unhandlichen Eigenschaften des Stoffes, oder die Erhaltung der allgemeinen Gesetze, oder ein Anderes der Art allein die Ursache gewesen sei, welche die Macht und Güte des Jupiter beschränkte und ihn nötigte, die Menschen und alle lebenden Geschöpfe so unvollkommen und unglücklich zu schaffen. Es scheint also, dass diese Eigenschaften in der weitesten Ausdehnung im Voraus für zugestanden angenommen worden sind, und ich gebe zu, dass dann solche Annahmen vielleicht als leidliche Entschuldigung übler Zustände zugelassen werden könnten. Aber ich frage wieder: Weshalb soll man diese Eigenschaften als gewiss annehmen und mehr Eigenschaften in die Ursache verlegen, als in der Wirkung hervortreten. Weshalb quält Ihr Euer Gehirn, um den Lauf der Natur unter Voraussetzungen zu rechtfertigen, die meines Wissens nur eingebildet sind, und von denen keine Spur in dem Naturlauf angetroffen wird.

Diese religiöse Hypothese mag deshalb als eine eigentümliche Weise gelten, um die sichtbaren Erscheinungen der Welt zu rechtfertigen; aber kein Verständiger wird daraus irgend einen besonderen Umstand ableiten und die Erscheinungen im Einzelnen verändern oder vergrössern. Wenn Ihr meint, dass die wahrgenommenen Dinge solche Ursachen beweisen, so mögt Ihr einen Schluss auf das Dasein solcher Ursachen ziehen. In solchen verwickelten und erhabenen Fragen mag Jeder sich in Vermutungen und Beweisen frei ergehen. Aber hier müsst Ihr anhalten. Wenn Ihr umkehrt und aus Euren gefolgerten Ursachen rückwärts beweiset, dass etwas Anderes in der Natur bestanden habe oder kommen werde, was zur volleren Entfaltung besonderer Eigenschaften diene, so erinnere ich Euch, dass Ihr Euch von der dem Gegenstande zukommenden Beweismethode entfernt habt, und der Ursache an Eigenschaften etwas über das, was die Wirkung zeigt, zugesetzt habt; sonst hättet Ihr niemals in erträglicher und passender Weise der Wirkung etwas hinzufügen können, um sie der Ursache würdiger zu machen.

Wo ist also das Hassenswerte meiner Lehre, die ich in meinem Hörsaale verkündige oder vielmehr in meinen Gärten erörtere? Findet Ihr in der ganzen Frage etwas, was das Bestehen der Sittlichkeit oder der gesellschaftlichen Ordnung und Ruhe im Geringsten gefährdet?

Ihr sagt, dass ich die Vorsehung und den obersten Leiter der Welt leugne, welcher den Lauf derselben bestimmt, den Lasterhaften mit Schande und Fehlschlägen straft, und den Tugendhaften mit Ehre und Erfolg seiner Unternehmungen belohnt. Aber ich leugne sicherlich nicht den Lauf der Dinge selbst, welcher der Untersuchung und Prüfung eines Jeden offen liegt. Ich erkenne an, dass in der jetzigen Ordnung der Dinge die Tugend mit einer grössern Seelenruhe verbunden ist als das Laster und eine günstigere Aufnahme von der Welt erhält. Ich weiss sehr wohl, dass nach dem, was man bis jetzt von den Menschen erfahren hat, die Freundschaft der Hauptgenuss des Lebens, und die Mässigkeit die einzige Quelle von Ruhe und Glück ist. Ich schwanke nie zwischen dem tugend und lasterhaften Leben und weiss, dass für ein gutgeartetes Gemüt aller Vorteil auf der Seite des ersten ist. Und was könnt Ihr mit all Euren Voraussetzungen und Folgerungen mehr sagen? Allerdings sagt Ihr mir, dass diese Einrichtung der Dinge aus Weisheit und Absicht hervorgegangen sei. Aber möge die Quelle sein, welche sie wolle, die Anordnung selbst, von der unser Glück und Elend, und folglich unsere Führung und Verhalten im Leben abhängt, bleibt immer dieselbe. Es steht immer mir wie Euch frei, mein Benehmen nach meiner früheren Erfahrung zu regeln. Und wenn Ihr behauptet, dass bei Annahme der göttlichen Vorsehung und einer höchsten verteilenden Gerechtigkeit im Weltall ich über den gewöhnlichen Lauf der Dinge noch einen besonderen Lohn für das Gute und Strafe für das Böse erwarten müsse, so finde ich hier dieselbe Täuschung, die ich oben aufgedeckt habe. Ihr bleibt bei der Einbildung, dass, wenn ich jene göttliche Existenz für welche Ihr so ernstlich streitet, zugebe, Ihr dann getrost Folgerungen ziehen und der wahrgenommenen Ordnung der Natur vermittelst der Euren Göttern zugeschriebenen Eigenschaften etwas zusetzen könnt. Ihr vergesst, dass alle eure Beweise nur von Wirkungen auf Ursachen gehn, und dass deshalb jede Rück-Folgerung von den Ursachen auf die Wirkung notwendig eine grosse Täuschung enthalten muss, weil Ihr nur das von der Ursache wissen könnt, was Ihr vorher in der Wirkung nicht vermutet, sondern deutlich wahrgenommen habt.

Was soll ein Philosoph von den eiteln Schwätzern denken, welche nicht den gegenwärtigen Schauplatz der Dinge zu ihrem alleinigen Gegenstand der Betrachtung nehmen, sondern den Lauf der Natur so ganz verkehren, dass ihnen dieses Leben nur als ein Durchgang zu etwas Weiterem gilt; als ein Portal, was zu einem grösseren und ganz verschiedenem Bauwerk führt; als ein Prolog, welcher das Stück nur einführen und es nur anziehend und passender machen soll. Woher glaubt Ihr, dass solche Philosophen ihre Begriffe über die Götter entnehmen? Gewiss von ihrer eigenen Einbildung und Phantasie. Denn wenn sie sie von den gegenwärtigen Erscheinungen ableiteten, so kämen sie nicht weiter, sondern müssten sie diesen genau anpassen. Dass die Gottheit möglicherweise Eigenschaften besitze, deren Äusserungen wir niemals wahrgenommen haben; dass sie in ihrem Handeln von Grundsätzen geleitet werde, deren Geltendmachung wir nicht entdecken können; alles dies kann man getrost einräumen. Aber es ist eben nur Möglichkeit und Voraussetzung. Wir haben niemals einen Grund, auf eine Eigenschaft oder auf einen Grundsatz in dem Handeln der Gottheit zu schliessen, deren Äusserung und dessen genügende Verwirklichung wir nicht erkennen.

 


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