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Vorurteil

Vorurteil nennt man ein Urteil, das jemand über eine Sache fallt, bevor er sie geprüft hat. Vorurteile sind unzulässig; aber nicht jedes Vorurteil ist falsch; nur kann man von seiner Wahrheit nicht eher überzeugt sein, als bis man es gründlich untersucht hat. Die Vorurteile sind oft die schlimmsten Quellen und Bollwerke des Irrtums. Die Philosophie darf sie nicht dulden, und ein philosophischer Kopf sollte keine Behauptung annehmen oder nachsprechen, die er nicht selbst durchdacht hat. Die Vorurteile haben mancherlei Ursprung: Erziehung, Gewöhnung, Familie, Stand, Sprache, Geschäft, Volk, Landesbrauch, Mangel der menschlichen Natur usw., mit einem Worte die Achtung vor fremden Autoritäten. Dazu kommt Egoismus, Trägheit und Faulheit, Oberflächlichkeit, Parteiwut usw. Vgl. Irrtum. Die erste philosophische Darstellung der Vorurteile (Idole) hat Bacon (1661-1626) gegeben (vgl. Idol). Neuerdings hat Reinhold Hoppe (Die Elementarfragen der Philosophie nach Widerlegung eingewurzelter Vorurteile. 1897. S. 13-24) die Lehre von den Vorurteilen systematisch behandelt. Er nennt neun Vorurteile: 1. daß das höchste Kriterium der Gewißheit sei, daß man nicht anders denken könne; 2. daß das anerkannte Wissen verbürgt sei; 3. daß Sein und Denken ursprünglich voneinander getrennt beständen und einen Gegensatz bildeten; 4. daß das Ziel der Erkenntnis sei, die Wirklichkeit im Geiste zu reproduzieren; 5. daß, wenn alles Sein nur ein gedachtes wäre, die ganze Welt nicht wirklich sein würde; 6. daß alles, was ist und geschieht, eine Ursache hat; 7. daß, wenn auf eine Frage die Antwort gesucht und nicht gefunden worden sei,, sie ein Problem bilde; 8. daß die Formulierung in Worten unser Denkvermögen begrenze und repräsentiere; 9. daß die Sicherheit der Erkenntnis auf ihrem Anfang beruhe und nur auf absolut sicheres Wissen ein höchstens ebenso sicheres Wissen gebaut werden könne.