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Die christliche Rache an Rom

71.

Die christliche Rache an Rom. — Nichts ermüdet vielleicht so sehr als der Anblick eines beständigen Siegers, — man hatte Rom zweihundert Jahre lang ein Volk nach dem andern sich unterwerfen sehen, der Kreis war umspannt, alle Zukunft schien am Ende, alle Dinge wurden auf einen ewigen Zustand eingerichtet, — ja wenn das Reich baute, so baute man mit dem Hintergedanken des „aere perennius“; — wir, die wir nur die „Melancholie der Ruinen“ kennen, können kaum jene ganz andersartige Melancholie der ewigen Bauten verstehen, gegen welche man sich zu retten suchen musste, wie es gehen wollte, — zum Beispiel mit dem Leichtsinne Horazens. Andere suchten andere Trostmittel gegen die an Verzweiflung grenzende Müdigkeit, gegen das tötende Bewusstsein, dass alle Gedanken- und Herzensgänge nunmehr ohne Hoffnung seien, dass überall die große Spinne sitze, dass sie unerbittlich alles Blut trinken werde, wo es auch noch quelle. — Dieser jahrhundertalte wortlose Hass der ermüdeten Zuschauer gegen Rom, so weit nur Rom herrschte, entlud sich endlich im Christentume, indem es Rom, die „Welt“ und die „Sünde“ in Eine Empfindung zusammenfasste: man rächte sich an ihm, indem man den plötzlichen Untergang der Welt sich in der Nähe dachte: man rächte sich an ihm, indem man wieder eine Zukunft vor sich stellte — Rom hatte Alles zu seiner Vorgeschichte und Gegenwart zu machen gewusst — und eine Zukunft, in Vergleich zu welcher Rom nicht mehr als das Wichtigste erschien; man rächte sich an ihm, indem man vom letzten Gericht träumte, — und der gekreuzigte Jude als Symbol des Heils war der tiefste Spott auf die prachtvollen römischen Prätoren in der Provinz, denn nun erschienen sie als die Symbole des Unheils und der zum Untergange reifen „Welt“. —