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Substantiv und Adjektiv

Hier kommt uns vielleicht unsere Auffassung von dem wirklichen Gegensatze zwischen Ding und Eigenschaft zu Hilfe. Wir wissen, daß nur die verschiedene Richtung der Aufmerksamkeit uns bald von einem Ding, bald von seiner Eigenschaft, sprachlich also bald von einem Substantiv, bald von seinem Adjektiv reden läßt. Wir wissen genau, daß eigentlich das Substantiv immer ein Abstraktum ist, weil unsere Sinne immer nur Eigenschaften wahrnehmen, in unserem Denken oder Sprechen also immer nur Eigenschaften sein können. Denn in unserem Denken oder Sprechen kann nichts sein, was nicht vorher in unseren Sinnen war. Von der Richtung unserer Aufmerksamkeit hängt es ab, ob wir an dem Ding in unserer Hand die rote Farbe, den angenehmen Geruch, die Weichheit der Blätter, ihre Zahl u. s. w. vorstellen und benennen wollen, oder ob wir die unvorstellbare, unerklärliche Ursache aller dieser Sinneswahrnehmungen, ob wir die einheitliche Ursache dieser Sinneswahrnehmungen eine Rose nennen wollen.

Noch subtiler wird der Unterschied natürlich, wenn es sich um die Eigenschaft "bewußt" handelt. Genug daran, daß wir in unserer Sprache eine Bezeichnung dafür haben, wenn wir für unser Vorstellen und unser Wollen Zwischenglieder, Verbindungsmomente, Assoziationen, Erinnerungen (der Zusammenhang ist sehr unklar) besitzen. Es ist kein Wissen, es ist aber immerhin ehrlicher Glaube, wenn wir von bewußten Vorstellungen, von bewußten Willensvorgängen reden. Nun setzen wir mit Recht voraus, daß es unaufhörlich und überall im organischen Leben Vorgänge gibt, welche mit dem Vorgang des Vorstellens und des Wollens Ähnlichkeit haben müssen, die aber in unserem Bewußtsein nicht auffindbar sind. Es steht nichts im Wege, diese Vorgänge unter den Begriffen unbewußte Vorstellung und unbewußtes Wollen zusammenzufassen, sobald wir ein Interesse daran haben, durch ein Wort die Aufmerksamkeit auf diese Tatsachen zu lenken. Mehr sollte dieses Wort nicht leisten.

Das Taschenspielerkunststück von Hartmann besteht nun darin, daß er das Adjektiv "unbewußt" uns durch wiederholten Gebrauch so lange einübt, bis wir vergessen haben, wie negativ sein Sinn ist, und daß er nun plötzlich alle Fälle, auf welche dieses Adjektiv anwendbar wäre, unter dem Substantiv das "Unbewußte" zusammenfaßt mit der für unseren Verstand grauenhaften Absicht, das Adjektiv, und noch dazu ein negatives Adjektiv, zur Ursache des Dings zu macheu. Man verlege nur einmal diesen Gedankengang aus den metaphysischen Wolken auf die feste Erde. Da wäre es nicht genug, mit Hartmann einen Phantasten zusammenzustellen, der die Duftigkeit der Rose zur Ursache der Rose machen wollte. Nein, es müßte erst jemand kommen, der bemerkte, daß die Rose sich nicht frei bewegen kann wie die meisten Tiere und wie viele Pflanzen, und der nun die Beinlosigkeit der Rose für die Ursache ihrer Farbe, ihres Duftes u. s. w. erklären wollte. Aber auch damit begnügt sich Eduard v. Hartmann noch nicht. Er fälscht auch noch unbewußt die Bedeutung des Adjektivs "unbewußt". Unklar verwechselt er das, was wir in unserem Bewußtsein nicht finden, mit dem, was wir in unserem Wissen nicht finden. Er hat ohne jede Berechtigung die unbewußten Vorstellungen zu Ursachen der bewußten gemacht. Wenn ihm nun aber jetzt die unbewußten Ursachen nichts weiter sind als die unbekannten Ursachen, so ist es natürlich leicht, mit Hilfe dieses Worttausches den Bankrott zum höchsten Reichtum zu machen. Das Hauptwerk Hartmanns wäre eine sehr geistreiche und dankenswerte Darlegung des menschlichen Nichtwissens, wenn man überall an die Stelle des Adjektivs "unbewußt" das Adjektiv "unbekannt" oder "ungewußt" setzen wollte, und. anstatt des Unbewußten überall den bescheidenen Ausdruck unbekannte Kräfte oder unbekannte Ursachen. Allerdings wäre das dann kein neues philosophisches System.

Hartmann geht aber noch einen Schritt weiter. Nachdem er das Adjektiv in ein Substantiv verwandelt und so die Eigenschaft zur Ursache der Wirklichkeit gemacht hat, schiebt er dem Begriff des Unbewußten plötzlich den Begriff des Geistigen unter. Münchhausen versinkt in Morast und glaubt dabei in dem siebenten Himmel zu schweben, weil er sich während des Untersinkens am Zopfe zieht, bis der Kopf schmerzt. Diese Eskamotage vollzieht Hartmann in der gefälligsten Weise. Man könnte sogar einen neuen Beweis für das Dasein Gottes aus seiner Lehre entwickeln: Wenn alle unsere botanischen Kenntnisse uns die biologischen Ursachen der Farbe und des Duftes einer Rose nicht gelehrt haben, so ist die Beinlosigkeit die Ursache der Rose. Die Beinlosigkeit ist etwas Geistiges, weil es nichts Mechanisches ist. Also hat die Rose eine geistige Ursache, die wir bequemer Gott nennen können. Nicht anders ist der Gedankengang Hartmanns. Es genügt nicht, mit Lange festzustellen, daß die Wissenschaft fortschreite, daß wir immer weitere physische Ursachen entdecken können, daß es nicht angehe, die noch unbekannten Ursachen einer Erscheinung einem nichtphysischen, einem neuen geistigen Prinzipe zuzuweisen; dann wäre Hartmanns Philosophie wenigstens als vorläufige Orientierung über die bekannten und die unbekannten Ursachen wertvoll. Wir müssen weitergehen und uns klar machen, daß es geradezu geistlich ist, die nicht bekannten Ursachen geistige Ursachen zu nennen. Wir kommen da zu einer sehr hübschen Gleichung:

Es stellt sich nämlich heraus, daß in der Geschichte aller Wissenschaften in langsamem Fortschritt eben immer nur die beobachteten, das heißt bekannten Ursachen mechanisch genannt worden sind, daß das Wort Geist immer nur der Verlegenheitsausdruck für den "schäbigen Rest" war. Könnten wir unser Denken aus der Gehirnphysiologie erklären, dann hätten wir unseren Geist mechanisch gemacht. Wir können es nicht, aber eine solche mechanische Weltanschauung wäre wenigstens klar und logisch im Sinne unserer materialistischen Sprache. Es widerspricht jedoch unserer Sprache, unserem Denken, unserem Wesen, wenn wir die Ursachen, die wir nicht kennen, und bloß weil wir sie materialistisch nicht zu fassen vermögen, geistige Kräfte nennen. Denn "geistig" kann doch nie und nimmer irgend etwas anderes heißen als: dem Menschengeiste ähnlich.

Hartmann hat mit mathematischer Wissenschaftlichkeit aus dieser Begriffsvertauschung den mathematischen Beweis geführt, daß die Welt mit unendlich großer Wahrscheinlichkeit geistige Ursachen haben müsse. Er weist nach, daß in der Komplikation der Wirklichkeit die Wahrscheinlichkeit, es sei die Welt eine Folge der uns bekannten mechanischen Ursachen, unendlich klein, gleich Null sei, daß also die Wahrscheinlichkeit, es sei die Welt eine Folge geistiger Ursachen, sehr groß sei, gleich eins, d. h. soviel wie gewiß. Wir haben eben gesehen, daß er den Begriff "unbewußt" mit dem Begriff "unbekannt", und dann wieder den Begriff "geistig" mit dem Begriff "unbewußt" vertauscht hat. Seine mathematische Formel ist ganz richtig berechnet, nur ist seine Übersetzung in die Worte der Menschensprache falsch. Es steckt nichts in der Formel als das: es ist höchst unwahrscheinlich, es ist so gut wie widerlegt, daß die Welt eine Folge der uns bekannten Ursachen sei; es ist höchst wahrscheinlich, es ist so gut wie bewiesen, daß andere Kräfte, unbekannte Ursachen mit im Spiele sind. Und das brauchte Hartmann nicht erst zu beweisen.

Ist eine Kritik der Sprache schon notwendig für eine Philosophie, die sich mit dem bewußten Denken oder der Sprache beschäftigt, so ist eine Philosophie des Unbewußten ohne Sprachkritik wie der Flug eines Trunkenen im Traume.